„Horst-Wessel-Lied“ am 1. Mai bleibt ungesühnt

■ Ermittlungen gegen BGS ohne Ergebnis / Neuer Vorfall in Polizeischule Ruhleben: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“

Berlin. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen gegen Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS) wegen des Verdachts, am 1. Mai in Kreuzberg das „Horst-Wessel- Lied“ gesungen zu haben, ohne Ergebnis „vorläufig abgeschlossen“. Das teilte gestern Staatsschutzleiter Dieter Piete auf Nachfrage mit. Die Akten seien der Staatsanwaltschaft zugeleitet worden. Jene werde das Verfahren vermutlich einstellen, sofern sich nicht noch neue Zeugen fänden, so Pietes Prognose.

Wie berichtet, hatten drei Anwohnerinnen der Oranienstraße beim Staatsschutz ausgesagt, eine am 1. Mai in Kreuzberg eingesetzte BGS-Einheit habe das „Horst- Wessel-Lied“ gesungen. Piete wertete dies gestern so, die Zeuginnen seien mit einem Abstand „von über 30 Metern relativ weit“ vom Herkunftsort des Liedes entfernt gewesen und hätten Mundbewegungen von etwaigen Sängern nicht identifizieren können: „Letztendlich bleiben bei der Distanz Zweifel, ob es nicht ein provozierender Gesang aus den Fenstern war.“ Das hätten zumindest einige der rund 75 vernommenen BGS-Beamten bekundet. Sie hätten bei den Menschen in den Fenstern jedoch auch keine Mundbewegungen ausmachen können.

Auf die Frage, warum die BGSler dann keine Strafverfolgung betrieben hätten, sagte Piete: Es handele sich größtenteils um sehr junge Beamte ohne „Geschichtsbewußtsein“. Die Beamten hätten angegeben, erst im nachhinein „rationalisiert“ zu haben, daß die ihnen unbekannten Textstellen zu einem verbotenen Lied gehörten.

Wie erst jetzt bekannt wurde, ermittelt der Staatsschutz schon länger gegen unbekannte Polizisten in der Polizeiunterkunft Ruhleben wegen Verwendens von verfassungsfeindlichen Symbolen. Dies sagte Polizeivizepräsident Dieter Schenk gestern im Innenausschuß auf Anfrage des innenpolitischen Sprechers des Bündnis 90/ Grüne, Wolfgang Wieland. Aus einem geöffneten Fenster der Polizeischule sollen die Wortfragmente geschallt sein: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“. Im Hintergrund soll Musik von einem Tonträger abgespielt worden sein. Ob es das Stück einer rechtsradikalen Gruppe war, sei noch nicht geklärt. Staatsschutzleiter Piete schloß gegenüber der taz nicht aus, daß es sich „möglicherweise um eine Persiflage“ der Punkgruppe „Tote Hosen“ handelte. In diesem Fall sei die Verbreitung laut „Sozialadäquanz-Klausel“ keine strafbare Nazi-Verherrlichung.

Der von anderen Polizisten der Schule zur Anzeige gebrachte Vorfall soll sich bereits „Ende April nach Feierabend“ ereignet haben. Als Tatverdächtige kämen sowohl die in dem Zimmer wohnenden Polizeischüler im Alter von 17 bis 20 Jahren als auch Besucher in Betracht. Vielleicht, so Piete, war es ein „geselliges Zusammensein“, bei dem auch Alkohol getrunken wurde. Die Vernehmung der Polizeiangehörigen in der Lehrabteilung und im gegenüberliegenden Gebäudeteil hätte die widersprüchlichsten Ergebnisse gebracht. Schenk betonte, die Polizei sei bei solchen Verdächtigungen mit der „größten Sorgfalt“ um Aufklärung bemüht. Plutonia Plarre