Der saure Sir und die hasenherzigen Seinen

Berlin (taz) – Erich Ribbeck war schon vor dem Spiel stinkig, weil sich seine Kicker mehr mit der Planung der Meisterfeier als mit der Vorbereitung auf das nächste und bekanntlich immer schwerste Spiel beschäftigten. Ebenso bekanntermaßen ist nach dem Spiel auch immer vor dem Spiel und nachher hatte Sir Erich wirklich reichlich Gründe und tat die auch kund: „Einige haben in der ersten Halbzeit nicht so gespielt, als wollten sie Deutscher Meister werden.“

Ganz sicher hatten es sich die Bayern leichter vorgestellt, auch weil der Karlsruher SC ohne Kirjakow (WM-qualifizierend tätig für Rußland), Krieg und Bender (beide verletzt), die zusammen schon 30 Tore erzielt hatten, versuchen mußte, dem angestrebten Ziel UEFA-Cup-Platz ein Stück näher zu kommen. Statt dessen trat der KSC mit dem Ein-Mann-Sturm Eberhard Carl an und der hatte sich bisher mit der beindruckenden Zahl von einem (in Ziffern: 1!) Treffer in der Torjägerliste plaziert.

Das Schöne am Fußball ist das Unmögliche, das so gerne passiert. Und das passierte auch im ausverkauften Wildpark-Stadion. Während die Bayern trotz oder gerade wegen einer halben Mannschaft aus Ex-Karlsruhern hasenherzig agierten, also das taten, was im Fußballer-Volksmund „aus einer gesicherten Abwehr spielen“ heißt, stürmten die Karlsruher mit dem Mut der ersatzgeschwächten Verzweiflung. Und wurden reich belohnt. Vor allem der sonst so erfolglose Stürmer Carl, der seine Saison-Quote um exakt 200 Prozent steigerte. Und nach dem 3:0 durch Wolfgang Rolffs Flugkopfball kurz vor dem Pausenpfiff erkannte natürlich Lothar Matthäus — wer sonst — in der Halbzeit, was los war: „Es sieht dumm aus.“ Es hätte auch noch dümmer aussehen können, denn mit den drei Toren waren die Bayern recht gut bedient.

Richtig dumm ging es dann gleich weiter. Kaum war wieder angepfiffen, tanzte der nicht gerade als Filigrantechniker verschriene Rainer Schütterle durch die Bayernabwehr und versenkte per Außenrist. „Das hat uns das Genick gebrochen“, fand Sir Erich und wechselte reichlich Stürmer ein, die erfolgreich Ergebniskosmetik betrieben. Die Tore von Mazinho und Ziege erhielten den Münchnern immerhin die Tabellenführung, was Ribbeck zumindest ein wenig tröstete: „Wir sind immer noch Erster.“ Untröstlich dagegen Matthäus: „Ich sage lieber gar nichts, bevor ich wieder Ärger habe mit Leuten, mit denen ich zusammenarbeite.“ Gut so.

Nur, wie soll das weitergehen? KSC-Trainer Winfried Schäfer glaubte zweifelsfrei erkannt zu haben, daß die Bayern vor den Seinen mehr Angst gehabt hätten als vor zwei Wochen beim 1:4 gegen Werder. Wobei er natürlich nicht den Bremern zu nahe treten wolle, grinste Winnie und freute sich schon auf die nahende Qualifikation für den UEFA-Cup. Auch Dampfplaudertasche Otto Rehhagel nahm die „sensationelle Einstellung“ des KSC und die Ängstlichkeit der Bayern wohlwollend zur Kenntnis, hält sie seinen Bremern mit nur noch zwei Toren hinter der Tabellenspitze doch alle Möglichkeiten offen.to

FC Bayern München: Aumann - Thon (69. Wohlfarth) - Kreuzer, Helmer - Jorginho, Schupp, Wouters, Matthäus, Ziege - Scholl, Labbadia (64. Mazinzo)

Zuschauer: 40.000 (ausverkauft)

Tore: 1:0 Carl (24.), 2:0 Carl (34.), 3:0 Rolff (45.), 4:0 Schütterle (49.), 4:1 Mazinho (65.), 4:2 Ziege (90.)

Karlsruher SC: Kahn - Nowotny - Reich, Schuster - Schmidt, Rolff, Schmarow, Klinge (87. Neustädter), Wittwer - Schütterle, Carl (70. Fritz)