Historisch belastete Beziehungen

■ Polens Lech Walesa in der Ukraine /Besuch in Lemberg

(taz) –Die gestrige Ankunft des polnischen Präsidenten Lech Walesa in der Ukraine könnte zu einem Meilenstein in der Geschichte der beiden Staaten werden. Historisch liegt ein dunkler Schatten über den ersten Gesprächen eines polnischen Staatsoberhauptes mit offiziellen Stellen der ehemaligen Sowjetrepublik. Nach der ukrainischen Unabhängigkeit von der SU hat dort das Bewußtsein für in der Vergangenheit erlittenes Unrecht zugenommen. Abhandlungen und Denkmäler für die von Stalin in den dreißiger Jahren inszenierte Hungersnot gehören dazu ebenso wie ein verstärktes Interesse am Schicksal der zirka 300.000 Ukrainer in Polen. Zugleich grassieren besonders in der Westukraine immer noch starke Ängste vor einer Repolonisierung der Lemberger Gegend, die vor dem Krieg zu Polen gehörte. Katholische Würdenträger in Polen riefen ihre Priester dazu auf, Haßpredigten zu unterlassen. Der Zweite Weltkrieg war schon fast vorbei, als in der Ukraine immer noch gekämpft wurde. Antikommunistische Partisanen lieferten sich dort bis in die fünfziger Jahre hinein Gefechte mit der Roten Armee. Im Machtvakuum der Endkriegszeit wurden lange ausstehende Rechnungen mit der polnischen Bevölkerung in Wolhynien beglichen. Eine halbe Million Polen sollen bei den Massakern der „Ukrainischen Aufstandsarmee“ (UPA) ums Leben gekommen sein. Viele flohen nach Zentralpolen, von wo aus viele in die ehemals deutschen Westgebiete umgesiedelt wurden. Dort ist das Wolhynien-Trauma bis heute lebendig.

Wolhynien war der Endpunkt einer jahrhundertelangen Nachbarschaft, die im Bewußtsein von Ukrainern und Polen bis heute als eine blutige und feindliche gilt. Jahrhundertelang lebten Ukrainer und Polen zusammen in den gleichen Gebieten. Der Zweite Weltkrieg trennte ihre Siedlungsgebiete, die Polen wurden aus der Sowjetukraine ausgesiedelt und vertrieben, die Ukrainer in Polen „repatriiert“ oder von der polnischen Armee in die Westgebiete ausgesiedelt. 1990 entschuldigte sich Polens Senat offiziell für die Säuberungsaktionen. Seither warten die Polen auf ähnliche Worte der Ukrainie für Wolhynien-Morde, während die ukrainische Minderheit auf Entschädigungen für die damals enteigneten ukrainischen Güter in Südostpolen hofft – bisher vergebens.

Walesa, der innenpolitisch einen sehr kirchennahen Kurs fährt, dürfte darauf kaum zu sprechen kommen. Die Gespräche polnischer Politiker mit ihren ukrainischen Amtskollegen drehen sich zumeist um Sicherheitsfragen, regionale Kooperation und die wirtschaftlichen Beziehungen, die durch die extreme Schwäche der ukrainischen Währung darnieder liegen. Für seinen „Nato B“ genannten Plan eines Sicherheitsbündnisses der osteuropäischen Staaten als Übergang zu einer echten Natomitgliedschaft dürfte Walesa in Kiew kaum auf Zustimmung stoßen. Dies würde einen Verzicht auf die eigenen, ukrainischen Atomwaffen beinhalten, der indessen in immer weitere Ferne rückt. Dagegen ist Kiew an einer Teilnahme an der Visegradgruppe mit der Slowakei, Ungarn, Polen und Tschechien interessiert. Die Hoffnungen der ukrainischen Wirtschaft, die immer größeren Probleme mit ihrem traditionellen Absatzmarkt Rußland hat, richten sich vor allem auf die Nachfrage aus diesen Ländern. Unter ukrainischen Wirtschaftsexperten läuft bereits seit geraumer Zeit eine Debatte über den Sinn einer Übernahme der „polnischen Roßkur“ zur schnellen Einführung der Marktwirtschaft.

Anders als bei Premierministerin Suchocka, die zur großen Enttäuschung der polnischen Rechtsparteien und Landsmannschaften bei ihrem Besuch vor einigen Monaten auf einen Abstecher nach Lniw (Lemberg) verzichtete, ist die westukrainische Stadt Teil von Walesas Besuchsprogramm. Wie unter der Hand von ukrainischen Offiziellen zu hören ist, fürchtete man in Kiew Störungen und Provokationen ukrainischer Nationalisten, als deren Hochburg Lniw angesehen wird. Mit Spannung wird in Warschau und Kiew beobachtet, ob es Präsident Walesa, der bisher noch immer eine glückliche Hand bei heiklen Staatsbesuchen wie zuletzt in Israel bewiesen hat, auch dieses Mal gelingen wird, die Wogen zu glätten. Konkrete Ergebnisse sind nicht zu erwarten, es geht hauptsächlich um eine Verbesserung der Atmosphäre, um Gesten und Symbole. Klaus Bachmann