Schlechte Zeiten für Chinas Bauern

Vom chinesischen Wirtschaftwachstum profitieren nur die Städter / Die Bauern leiden unter Inflation und unter korrupten Beamten / Erste gewalttätige Proteste  ■ Aus Peking Catherine Sampson

Die chinesischen Bauern waren die ersten Nutznießer der von den Kommunisten durchgeführten marktwirtschaftlichen Reformen. Jetzt aber hat sich ihre Lage derartig verschlechtert, daß man allgemein mit Unruhen auf dem Land rechnet, wenn sich nicht bald etwas ändert. In den frühen achtziger Jahren hatte Chinas graue Eminenz Deng Xiaoping im Zuge der Wirtschaftsreformen die landwirtschaftlichen Kommunen aufgelöst; die Bauern erhielten eigenes Land und durften ihre Produkte auf den freien Märkten verkaufen. Damals hatten die Stadtbewohner allen Grund, auf ihre wohlhabenden Verwandten auf dem Land neidisch zu sein. Doch in den letzten Jahren hat sich das Blatt gewendet.

Statistiken für das erste Quartal dieses Jahres belegen eine landesweite Inflation von mehr als acht Prozent. Die Preissteigerungen fallen zwar mit rund 15 Prozent in den Städten am höchsten aus, doch sind dort auch die Löhne um etwa 27 Prozent gestiegen. Die Lebensqualität der Städter nimmt zu.

Statistiken für die ländlichen Gegenden sind seltener, vielleicht, weil sie ein recht trostloses Bild abgeben würden. Fest steht, daß auch dort die Preise gestiegen sind, aber ohne daß eine vergleichbare Anhebung der Löhne stattgefunden hätte. Im letzten Jahr wurde in China ein Wirtschaftswachstum von beinahe 13 Prozent erzielt. Profitiert hat davon vor allem die Stadtbevölkerung, doch leben etwa 70 Prozent der riesigen Bevölkerung Chinas auf dem Land.

Nichts schreckt die Regierung mehr als die Aussicht auf ländliche Unruhen. Sogar Ministerpräsident Li Peng, der sich sonst selten mit landwirtschaftlichen Belangen abgibt, sah sich im April veranlaßt, eine Rede den Problemen der ländlichen Gebiete zu widmen. Er versicherte, daß die Landwirtschaft das Fundament der chinesischen Wirtschaft darstelle, und gab zu, daß es in der Vergangenheit zu einer ungleichmäßigen Verteilung des Wohlstandes gekommen sei. Konkrete Lösungsvorschläge machte er jedoch nicht.

Viele Bauern sehen die kommunistische Partei selbst und ihre Vertreter auf dem Land als das Hauptproblem. So bezahlen zum Beispiel örtliche Beamte Getreide nicht, über dessen staatliche Abnahme die Bauern Verträge unterzeichnet haben. Jahrelang zahlten sie den Bauern für ihre Ernte Schuldscheine statt Bargeld. In letzter Zeit hat sich dieses Problem noch verschärft, obwohl die Regierung die Ausgabe von Schuldscheinen verboten hat. Die Beamten vor Ort finden andere Wege, um die Bauern nicht mit Bargeld zu bezahlen: Sie geben ihnen jetzt Zahlungsanweisungen, doch die Post verweigert deren Auszahlung. In der Folge kam es zu Gewaltanwendung: Viele Postämter auf dem Land wurden von wütenden Bauern attackiert.

Ein ebenso großes und hartnäckiges Problem ist die Korruption. Örtliche Beamte schröpfen die Bauern mit einer ganzen Reihe von Gebühren und Abgaben, die nicht selten nach Gutdünken erfunden werden. Bekannt wurde der Fall einer Bäuerin, die Selbstmord beging, als der kommunistische Parteisekretär des Ortes ihren Fernseher und ihr Fahrrad konfiszieren wollte mit der Begründung, sie habe eine ansehnliche „Familienplanungs-Abgabe“ nicht gezahlt. Daß solch eine Abgabe von der Frau erhoben wurde, erscheint um so seltsamer, da sich die Frau schon lange vorher hatte sterilisieren lassen. Die Regierung in Peking hat kürzlich das Verbot willkürlicher Abgaben und Steuern erneuert. Doch gegenüber der Geldgier der Beamten scheint die Regierung mehr oder weniger machtlos zu sein.