Gegen den Abbau von Demokratie

■ Interview mit Manfred Stenner, der im Auftrag des „Trägerkreis Asylrecht“ die morgigen Protestaktionen in Bonn organisiert hat

taz: Herr Stenner, seit Monaten bereits steht der Asylkompromiß, der nun im Plenum abgenickt werden soll. Welchen Sinn hat da jetzt noch eine Demonstration?

Stenner: Daß Menschen deutlich nein sagen zu dieser Horrorentscheidung, auch wenn wir sie nicht mehr verhindern können. Am Mittwoch wird in Bonn die ungeheure Tragweite dieser Entscheidung deutlich werden – durch den größten Sicherheitsaufwand, der je in Bonn getrieben wurde. So wird man sehen, daß sich an diesem Tag die Republik verändert, Politiker, die einst aus dem Zweiten Weltkrieg Lehren gezogen hatten, werden diese über Bord werfen. Der 26. Mai 1993 ist das Fanal für eine politische Entwicklung, an dessen Ende man sich fragen wird, weshalb man nicht viel früher den Hintern hochgekriegt hat. Diese Zäsur soll aufgezeigt werden und daß man auch weiterhin den Mut haben kann, für diese Republik zu kämpfen. Ich finde die Einigkeit zwischen Flüchtlings-, Friedens- und Dritte-Welt-Gruppen, Gewerkschaften und Anwälten, die gemeinsam gegen den Abbau der Demokratie protestieren, beispielhaft. Das könnte eine neue außerparlamentarische Opposition werden. Und die wird nötig sein, wenn die SPD wie bisher zielstrebig in die Große Koalition marschiert.

Wie viele werden kommen?

Rund 5.000, die Polizei spricht von 10.000.

Das sind recht wenig für eine neue APO...

Nicht jeder kann sich werktags einfach mal nach Bonn aufmachen.

Letzten November zur Antirassismus-Demo in Bonn waren es noch 200.000.

Die fand auch samstags statt. Das ist aber nicht der einzige Grund. Im November glaubten viele noch, mit einer Demo den Asylkompromiß verhindern zu können. Diese Hoffnung ist jetzt dahin. Dann ist oft der lange Atem einfach nicht da. Schließlich glaube ich, daß viele Leute, auch viele Teilnehmer an den Lichterketten vom letzten Jahr, den Parteienkompromiß im Grunde begrüßen. Wir konnten in den letzten Wochen 100.000 Unterschriften für den Erhalt des Asylrechts sammeln; wenn man ehrlich ist, ist das recht wenig. Der Kampf für den Erhalt des Asylrechts ist in Deutschland derzeit eine Minderheitenposition.

Ist nicht auch die Zeit der Großdemos ein wenig vorbei?

Großdemos sind zur Zeit nicht in, das ist richtig. Das hat etwas mit der generellen Individualisierung und Entpolitisierung zu tun. Das ging aber schon immer in Wellen vonstatten. Wenn die Rechtswende jedem klar wird, werden die Leute auch wieder in Massen auf die Straße gehen.

Wegen befürchteter Ausschreitungen gab Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth letzte Woche umfangreiche Sicherheitsanweisungen an die Abgeordneten...

Da soll nur Gewalt herbeigeredet werden. Garantieren kann ich natürlich für nichts. Doch wir haben mit denen, die man gemeinhin Autonome nennt, recht verbindliche Absprachen, daß es keine „militanten Angriffe“ geben wird. Es reicht, wenn der Staat seine Zähne zeigt. Im Bundestag schotten Sicherheitskräfte die Abgeordneten vor den lästigen Bürgern ab, die draußen mit phantasievollen Aktionen und politischen Reden für die Menschenrechte kämpfen. Ausländische Journalisten wird das beeindrucken.