Fragen, die die Welt bewegen

■ Im Radio: Wie die Aufklärung in Game-Shows triumphiert

Der Mensch hat sich schon viel gefragt, zum Beispiel: Wer erbaute das siebentorige Theben? Oder: Hatte Cäsar bei der Eroberung Galliens nicht wenigstens einen Koch dabei? Angefangen hat das alles vor rund 2.500 Jahren, als Ödipus von einem Ungeheuer unter Androhung des Untergangs nach dem Menschen gefragt wurde. Zur Klärung dieser und aller künftigen Fragen erfand man das Theater. Aber seit Lessing Jammer und Schauder mit Mitleid und Furcht übersetzt hat, war die Zivilisation weit genug fortgeschritten und die Zeit reif für die Game-Show. Daß Quiz und Game-Show die legitimen Erben des bürgerlichen Theaters der Aufklärung sind, versucht Walter Filz in seinem „Dokumentationsmelodram zur theatralischen Dimension des Quiz“ nachzuweisen.

Mit einer Fülle von Jingles, Musik und O-Tönen von Kandidaten, Moderatoren und Unterhaltungsverantwortlichen veranschaulicht Filz das Spektrum eines Phänomens, das – laut gängigem Vorurteil – den Zuschauer intellektuell beleidigt und dem Kulturverfall Vorschub leistet. Aber stimmt das?

Zu dieser Frage die 1. Frage: Ist das Quiz dramatisch?

Ja. Laut Lessings Hamburgischer Dramaturgie ist die dramatische Form die einzige, in welcher sich Mitleid und Furcht auf den höchsten Grad erregen lassen. Dazu möchte Walter Filz wissen: Können – abgesehen vom Fernsehquiz – in einer anderen dramatischen Form Mitleid und Furcht auf einen so hohen Grad erregt werden? Wer mit der ekstatischen Raserei eines Game-Show-Publikums konfrontiert wird, wird das schwerlich verneinen können. Filz macht dies mit O-Tönen hörbar, auf die der Textinhalt noch einmal in indirekter Rede (!) aufgesprochen worden ist. Das klingt komisch und entlarvend zugleich. Wie Originaltöne Filz meist Argument und nicht Beispiel sind. Die gleiche Ranghöhe von Zuschauer und Kandidat fungiert als Instrument bürgerlicher Selbstverständigung; Furcht für und Mitleid mit dem Helden (inklusive Weinkrampf) dienen der doppelten Affektreinigung – sind genuin theatralisch.

2. Frage: Ist das Quiz aufklärerisch?

Ja. Denn es profaniert das ehemals heilige Wissen bis zu einem Niveau, bei dem jeder mitmachen kann. Harry Wijnvoord: „Wer sagt denn, daß man immer etwas Besonderes wissen oder leisten muß, um an den großen Sahnetopf ranzukommen?“ Merke: Das Quiz ist demokratisch. Und weil in der Game-Show Preise und Produkte genannt und nicht tabuisiert werden, darum ist das Quiz eine Schule der Mündigkeit und Emanzipation.

3. (Master-)Frage: Was ist hinter dem Quiz?

Nichts. Harry Wijnvoord ist Harry Wijnvoord ist Harry Wijnvoord. Bei täglich rund zehn Game-Shows treten ganz normale Leute als ganz normale Leute auf. Die Game-Show ist Bürgerfernsehen. Das Fernsehquiz überwindet die Grenze zwischen Schein und Sein, Kunst und Leben. Aber es verdoppelt die Realität nicht, es inszeniert sie, weil das Spiel nicht falsch sein kann, wenn das Geld echt ist. Authentizität, Chancengleichheit, Demokratisierung, Emanzipation, Sozialisation, das Glück der größtmöglichen Zahl – die Ideen der Aufklärung triumphieren in Gestalt des Quiz.

Filz' Interpretation ist blendend, komisch und akustisch genial umgesetzt. Aber vielleicht ist die Intention des Quiz doch nicht das autonome Individuum, denn es ist vor allem magisch. Das Ziel des Quiz ist nicht das tödliche Ende des Kandidaten im römischen Forum – falls die je den Löwen vorgeworfen worden sein sollten, weil sie die Master-Frage falsch beantwortet haben. Das Quiz ist antiliberal und posthuman, es betreibt Inthronisation des Geldes und seiner Manifestationen als magisches Zentrum. Dieser Endpunkt ist längst erreicht. Seit 35 Jahren läuft „Der Preis ist heiß“ im US-Fernsehen, täglich und unverändert. Noch Fragen? Jochen Meißner

„Der Kampf, der Mensch, seine Fragen und ihre Antworten“, heute, SFB 3, MDR Kultur, 22 Uhr