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Aufstand der Gartenzwerge

Von Rostock lernen: In Weißwasser wurde ein Flüchtlingslager zwischen Laubenpieper gesetzt / Jetzt drohen die Kleingärtner mit Molotowcocktails  ■ Von Michaela Schießl

Am liebsten sitzt Bernd Lange ganz nah bei seinen fünf Gartenzwergen auf der Terrasse seiner Gartenlaube und schaut den Zwiebeln beim Wachsen zu. Doch seit drei Wochen sind die Zwerge in Sicherheitsgewahrsam hinter Glas, die Zwiebeln werden streng bewacht, und täglich prüft Lange, ob sein Karnickel noch lebt. Denn das Böse ist in das Laubenpieperidyll am Stadtrand von Weißwasser eingedrungen: Störenfriede, Diebe, Schläger, potentielle Mörder.

Seit Anfang Mai herrscht „der Spuk“ (Lange) in der Kleinstadt nahe der polnischen Grenze. Eben seit das Asylbewerber-Auffanglager neben den Laubenpieperkolonien „Feldschlößchen“ und „Philippina A“ eröffnet wurde. „Jetzt bin ich schon 46 Jahre alt“, sagt Bernd Lange, „und war immer ein friedlicher Hobbygärtner. Aber wenn hier was passiert, Randale gegen das Lager, würde ich mich sofort den Rechtsradikalen anschließen. Sieben Jahre lang habe ich mir den Garten aufgebaut, das nimmt mir keiner weg.“

Den Garten und sein Häuschen hat er noch, doch mit der Ruhe ist es vorbei: Musik, Geschrei, Gedröhne dringt Tag und Nacht an sein ruhegewohntes Ohr. „Hier in der Kolonie darf am Samstag ab 12 Uhr mittags nicht mehr rasengemäht werden, und die hören die ganze Nacht Musik in Disko-Lautstärke.“ Am allerliebsten wäre es ihm, wenn das ganze Lager gesprengt würde, nur um die Kinder „wäre es schade, die können nichts dafür. Und die paar echten Asylanten vielleicht, und die Asiaten, die benehmen sich anständig.“ Aber schließlich ist es nicht seine Schuld, wenn die Situation eskaliert. „Die Politiker provozieren das. Sie haben uns wieder angelogen und betrogen. Jetzt wollen sie uns auch noch das letzte bißchen Lebensfreude nehmen. Aber wir wehren uns.“ An Himmelfahrt hat er extra in der Laube übernachtet, da hatten sich die Skinheads angesagt, um aufzuräumen. „Da ist aber keiner gekommen, obwohl Hoyerswerda nur fünfzig Kilometer weg liegt.“

Sie waren auch nicht da, als am vergangenen Freitag, nachts um 11 ein Molotowcocktail vom Feldschlößchen-Gelände ins Containerdorf segelte. Natürlich weiß keiner, wer geworfen hat, natürlich war keiner dabei, als die Auseinandersetzung begann zwischen zwanzig Kleingärtnern und etwa sechzig Asylbewerbern. Skins konnte die sofort herbeigeeilte Polizei jedenfalls nirgends entdecken, nur wildgewordene Laubenpieper. „Die Brandflasche flog erst, als wir schon da waren, und nicht ins Haus, sondern auf Sandboden. Das war kein ernster Anschlag, das war eine Drohung“, meint Werner Hönel von der Görlitzer Polizeidirektion. Eine Warnung, die ernst genommen wird: „Wir haben eine Sonderkommission der Kripo eingerichtet, und der Staatsschutz ermittelt.“ Am 19. Mai waren drei Asylbewerber in der Stadt von Jugendlichen überfallen worden, geschlagen und getreten, weil sie eine Zigarette schnorren wollten.

Als das Gelände zwischen den beiden Gartensparten an der Halbendorfer Straße ausgemessen wurde, haben die Kleingärtner nichts Böses geahnt. Sie glaubten an eine neue Laubenpieperkolonie. Doch auf die Auskunft der Bauarbeiter war keiner gefaßt: „Hier kommt ein Asylantenheim hin.“

Aufgeschreckt protestierten die Gartenbesitzer bei der Stadt. Doch die dementierte: Aber nein, wie kommt ihr nur darauf, kein Asylantenheim in eurer Nähe. Wenige Wochen später wurden die Gärtner aus dem Schlaf geweckt: Mitten in der Nacht begannen Bauarbeiter mit der Errichtung des Auffanglagers.

Bei der Stadt hatte man in der Zwischenzeit Sündenböcke gefunden: Die Landesregierung sei schuld, die zwinge Weißwasser zur Aufnahme von Flüchtlingen. Aber ganz so schlimm sei das alles nicht, wiegelte Landrat Erich Schulze ab. Das sächsische Regierungspräsidium habe ihm zugesichert, daß die Lagerinsassen höchstens für ein paar Tage in Weißwasser blieben und das Lager nicht verlassen dürften. „Das klappt niemals“, glaubte der Gartenverein und schlug alternative Standorte vor. Orte, weiter weg von der Stadt, wo die Fremden niemanden stören können: eine NVA-Kaserne in Heide etwa, wo Strom, Wasser, Baracken, alles vorhanden wäre.

Nicht, daß man ausländerfeindlich wäre in Weißwasser, aber man hört ja so viel, besonders von den Rumänen. Besser, man schafft die Ausländer weit fort. Warum ihre Gegenvorschläge nicht angenommen wurden, weiß niemand so recht. „Sie sagen, die Holzbaracken in der alten Grube gehen nicht, die brennen zu gut. Aber ob man hier oder dort die Blechhäuser aufgestellt hätte, wäre doch egal gewesen. Dann heißt es, die sollen nahe an der Stadt sein, wegen der Integration, gleichzeitig sagen sie, die Asylanten bleiben nur ein paar Tage. Da stimmt doch hinten und vorne nichts“, findet das Kleingärtnerpaar Richter. Sie selbst ärgern sich auch über die neuen Nachbarn, doch fürchten sie den Radikalo-Tourismus noch mehr als einen Einbruch: „Wenn hier plötzlich die Rechten auftauchen, wir wissen nicht, wer hier alles plötzlich mitmacht. Doch was sollen die Leute machen, wenn ihnen die Politik nicht hilft?“

Aus dem angeblichen Versprechen, die Asylsuchenden einzusperren, wurde nichts. Das sächsische Innenministerium weiß nichts von einer solchen Zusage. „Das wäre ohnehin gesetzeswidrig. Es gibt keine Zweite-Klasse-Asylanten, und wir machen keine Internierungslager“, sagt der Sprecher des Ministeriums, Detlef Schönherr. Aus der genannten Aufenthaltsdauer von ein paar Tagen sind Wochen geworden. „Einige Tage wäre für uns in Ordnung gewesen, aber nach ein paar Wochen kennen die sich hier aus und wissen, wo was zu holen ist“, sagen Richters. Sie wissen: Im alten Dorf auf der anderen Straßenseite gründet sich jetzt eine Bürgerwehr.

Tatsächlich stieg die Zahl der Einbrüche und Diebstähle seit Anfang Mai drastisch an. Am 12. und 13. Mai wurde in Bungalows eingebrochen, in der Nacht vom 16. zum 17. Mai knackten Unbekannte zehn Datschen in der „Philippina A“. Im „Feldschlößchen“ mußte ebenso ein Idyll daran glauben: „Alles haben die rausgerissen, durchwühlt, Klamotten und Radios mitgehen lassen.“ Daß es die „Asylanten“ waren, liegt für die Kleingärtner auf der Hand: „Die ganze Toilette war mit Scheiße beschmiert. Das machen normale Einbrecher nicht. Das waren die Zigeuner“, weiß Gärtner Lange. Er schläft nur noch mit einer Mistgabel am Bett. „Wenn die kommen, kann ich mich wehren.“ Schließlich haben sie drüben, in der Nachbarsparte, schon eine Rangelei angefangen. Nein, verletzt wurde niemand, aber Lange weiß Bescheid: „Bei denen hat man schnell ein Messer im Rücken. Die Frauen kommen schon gar nicht mehr her, weil sie belästigt werden von den Burschen.“

Um Leib und Seele und ihren Gewinn fürchten auch die Geschäftsleute in Weißwasser. Unglaublich unverschämt kämen die Rumänen daher, immer in Gruppen, und klauten wie die Raben. Im „Minipreis“ verschwand sogar die Kaffeekasse, als mehrere Ausländer im Laden waren. Heidemarie Tschammer, Leiterin eines Schuhgeschäfts, fordert mehr Polizeipräsenz in der Stadt, und die Fußkosmetikerin Gabriele Günther gestand der Sächsischen Zeitung: „Wir haben Angst.“

Etwa ein Drittel der rund 250 Bewohner des Übergangslagers sind Rumänen. Sie streiten die Diebstähle nicht ab. „Keiner von uns hat Kleider bekommen. Was sollen wir anziehen? Das Essen ist schlecht, und jeder Erwachsene erhält nur 15 Mark in der Woche. Wir müssen uns alles organisieren.“ Daß sie sich damit wenig Freunde schaffen, verstehen sie nicht. „Die hassen uns einfach, ganz ohne Grund. Die Menschen hier haben kein Herz.“ Innerhalb des Lagers sind 17 Nationen versammelt, doch intern gibt es kaum Auseinandersetzungen. Wer Streit sucht, braucht nur rauszugehen.

Ein Taxi hält vor dem Lager, vier Rumänen steigen aus. Geld fürs Taxi ist da? „Das sind ein paar Reserven“, sagt Marian Wasili, der seit vier Wochen mit Frau und Kind in Deutschland ist, für 600 Mark an den Schlepper.

Eine Stunde später kehrt der Taxifahrer, rot vor Wut, zurück. Seine Jacke ist geklaut. „Da müssen Sie Anzeige erstatten“, sagt der Chef der privaten Sicherungsfirma, die das Lager Tag und Nacht bewacht. Er geht freundlich um mit den Asylbewerbern. „Für mich ist jeder erst mal ein guter Mensch. Einsperren tun wir niemanden, das sind freie Bürger. Aber ich rate Ihnen: Wenn Sie hier reinkommen, legen Sie vorher Ihren Schmuck ab.“ Seine Kollegen sind weniger nett. Unablässig kämmt einer von ihnen den Schäferhund und verspricht seinem Liebling: „Morgen gibt's einen Rumänen zum Frühstück.“ Sehr zu seinem Ärger wedelt der Hund, wenn sich Asylbewerber nähern: „Haut ab, der beißt euch den Arsch ab.“

Vor dem Hund hat keiner der Flüchtlinge Angst, aber vor den Skins. „Einmal konnten wir einen schnappen, der hat behauptet, daß jemand aus Weißwasser fünfhundert Mark pro Skin bezahlt, der gegen das Heim losgeht.“ Tatsächlich wurden bislang kaum Skins gesichtet, doch daß zu diesem Mittel gegriffen werden könnte, will niemand so recht ausschließen. Ehepaar Richter: „In unserer Stammkneipe garantiert der Wirt die ausländerfreie Zone. Der sagt, daß ein Anruf genügt, und die Glatzen kommen und räumen hier auf.“ Selbst die Polizei und das Innenministerium halten mittlerweile „alles für möglich“.

Im Dresdner Innenministerium lehnt man die Verantwortung für den unglücklichen Standort ab. „In diesem Land gibt es nur unglückliche Plätze. Egal wo, keiner will die Asylanten haben. Deren Präsenz allein provoziert die Leute, und wenn zudem geklaut wird, ist der Ofen völlig aus“, sagt Sprecher Schönherr. Töne wie aus Weißwasser hört er von überallher. „Die Entscheidungen, wo die Asylanten hinkommen, trifft das Regierungspräsidium. Aber irgendwohin müssen sie.“ Daß mit den Standorten absichtlich Politik gemacht wird, um die Stimmung für eine Grundgesetzänderung herzustellen, bestreitet er. „Das ist völlig überflüssig. Nirgendwo sind sie willkommen, auch nicht in Weißwasser.“

Im dortigen Gasthof Friedenseiche träumt der Wirt derweil von Mord und Totschlag. „Jetzt wird eine Bürgerwehr gegründet, und dann gibt's sicher bald die ersten Toten. Wenn die Rostock haben wollen, können sie Rostock haben. Und zur Vorspeise Hoyerswerda.“ Daß dabei der Ruf der Stadt flötengeht, sei schade, sei aber nicht zu ändern. Das sei der Preis, verraten und verkauft worden sei das Volk der DDR, daß man nun zur Selbsthilfe greift, ist doch nur allzu verständlich. „Die werden uns kennenlernen.“

„Die werden sich wundern“, hält Innenminister Eggerts Sprecher Schönherr dagegen. „Jeden Gewalttäter setzten wir sofort fest.“ Kräftig rasselt die Regierung mit dem Staatssäbel, um das enthemmte Volk zu bändigen. „Ich verspreche, wir tun absolut alles, damit sie Ruhe geben. Das schreibe ich den Laubenpiepern ins Poesiealbum, wenn nötig.“ Seine ganzen Hoffnungen liegen nun in einem neuen Asylgesetz. „Ich hoffe nur, daß die Politiker am Mittwoch einen Asylkompromiß finden. Da muß eine Beschränkung her. Ein anderes Volk kriegen wir nicht, ein anderes Gesetz können wir uns geben. Die Dompteure des Volkes wollen wir nicht werden.“

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