Demonstrationen in Tibet

■ Unabhängigkeit und Rückkehr des Dalai Lama gefordert

Peking/London (AFP/dpa/taz) –In der tibetischen Hauptstadt Lhasa sind am Dienstag erneut mehrere hundert TibeterInnen auf die Straße gegangen, um für die Unabhängigkeit Tibets von China zu demonstrieren. Die Polizei ging wie schon am Vortag mit Tränengas gegen die Demonstranten vor. Touristen berichteten, es habe ein Dutzend Verletzte gegeben. Genaue Zahlen waren zunächst nicht bekannt. Von amtlicher Seite wurden die Berichte nicht bestätigt.

Die Demonstrationen hatten nach den offiziellen chinesischen Feiern vom Sonntag begonnen, bei denen der 42. Jahrestag der „friedlichen Befreiung“ Tibets durch die chinesische Armee begangen wurde. Anlaß der Unruhen waren zunächst nur Proteste gegen Preissteigerungen – später schlug der tiefsitzende Widerstand gegen die chinesische Besatzung offen durch. Mit Steinen gingen die Demonstranten gegen offizielle Gebäude und Läden von chinesischen Geschäftsleuten vor. Zahlreiche buddhistische Pilger hätten sich den Demonstranten angeschlossen und die Rückkehr des im indischen Exil lebenden Dalai Lama gefordert.

Berichte der Menschenrechtsorganisationen amnesty international und Tibet Information Network, wonach die Polizei in den vergangenen Tagen Hunderte Tibeter festgenommen hat, nannte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums „reine Erfindungen“. Er bestätigte lediglich, daß in der vergangenen Woche drei TibeterInnen festgenommen wurden, von denen einer wieder auf freiem Fuß sei. Die beiden anderen stünden im Verdacht staatsfeindlicher Aktivitäten – eine Beschuldigung, die in der Praxis oft schon erhoben wird, wenn sich tibetische Dissidenten mit Informationen über politische Gefangene an Ausländer wenden. Nach Angaben des Tibet Information Network wurde am Montag möglicherweise ein Demonstrant durch Schüsse der Polizei getötet und ein weiterer verletzt.

Die letzten schweren Unruhen im März 1989, bei denen eine unbekannte Zahl von Tibetern getötet wurde, hatten sich auch an einem historischen Datum entzündet – dem 30. Jahrestag des Aufstandes von 1959, den chinesische Soldaten blutig unterdrückt hatten. Der tibetische „Gottkönig“, der Dalai Lama, floh damals ins Exil. Zwar wird der Dalai Lama heute in fast allen Hauptstädten – sehr zum Ärger Pekings – empfangen, doch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Annexion international anerkannt ist.

Menschenrechtsgruppen werfen den chinesischen Behörden die Verletzung von Menschenrechten, Repression und die massive Ansiedlung von Han-Chinesen vor. Offizielle Stellen behaupten, es gebe in Tibet „weniger als drei Prozent“ Han-Chinesen. Da viele Chinesen in ihren Heimatorten gemeldet bleiben, spiegelt die Zahl denn auch nicht die Wirklichkeit wider. Unterdessen hieß es gestern aus Regierungskreisen in Washington, US-Präsident Bill Clinton werde die China im bilateralen Handel gewährte Meistbegünstigungsklausel um ein weiteres Jahr verlängern. Dies werde zwar mit der Forderung nach stärkerer Beachtung der Menschenrechte in China und Tibet verknüpft. Der Regierung in Peking solle aber ein weiteres Jahr Zeit für die Erfüllung dieser Bedingungen gelassen werden.