piwik no script img

Stimmenfang im braunen Lager

■ Niedersächsische Wählergemeinschaften dulden antisemitische Propaganda eines Vorstandsmitglieds

Leer (taz) – Es scheint in Mode zu kommen, daß Politiker aus bürgerlichen Parteien mit rechten Parolen auf Stimmenfang gehen. Einer von ihnen ist Gerd Koch, Fraktionsvorsitzender der Allgemeinen Wählergemeinschaft (AWG) im Stadtrat des ostfriesischen Leer. Sein Debüt hatte er im letzten Sommer mit einer Äußerung über Bettler in der Fußgängerzone: „Bei den Bettlern handelt es sich ausschließlich um vagabundierendes Gesindel, mit dem man kurzen Prozeß machen sollte, und zwar unabhängig davon, ob die Bettelei erlaubt ist oder nicht.“ Als Albrecht Schreiber, Redakteur des General-Anzeiger im Nachbarort Rhauderfehn, in einem Kommentar schrieb, genau solche Parolen hätten zu den Konzentrationslagern geführt, konterte Koch: „Ihre Einstellung läßt entweder darauf schließen, daß Sie ein unbelehrbarer Betonkopf sind oder aber jüdische Vorfahren haben.“

Der daraus entstandene Presserummel scheint Koch gut gefallen zu haben, denn seitdem beglückt er die Welt mit einer Flut von Erklärungen. Die schickt er meist per Telefax, was ihm im Stadtrat den Titel „Faxen-Gerd“ eingebracht hat. Seine AWG-Fraktion hat sich darüber gespalten.

Kochs rechte Parolen sind aber keine Provinzposse mehr. Denn inzwischen wurde der Rechtsanwalt und Notar stellvertretender Vorsitzender der Unabhängigen Wählergemeinschaften Niedersachsens (UWN). Bei seinen jüngsten Ausfällen war er schon als Direktkandidat der UWN für die niedersächsische Landtagswahl 1994 nominiert. Koch lehnte es ab, an einem Treffen mit ehemaligen jüdischen Bürgern der Stadt teilzunehmen und teilte dem Leeraner Bürgermeister Günther Boekhoff mit, er sei gegen eine Übernahme der Reisekosten durch die Stadt. Dem Vorsitzenden der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Udo Groenewold, schrieb er, er habe „kein Schuldgefühl bezüglich der Kriegsverbrechen. (...) Wie ich die Juden allerdings einschätze, werden sie auch im nächsten Jahrtausend noch die Hand aufhalten.“

Ob der UWN gefällt, wie Koch am rechten Wählerrand nach Stimmen grast? Der Parteivorsitzende Wolfgang Marquard kritisierte ihn jedenfalls nur vorsichtig: „Ich distanziere mich von diesen Äußerungen. Ich habe Herrn Koch nahegelegt, seine Art von Sprüchen zukünftig zu lassen. Wenn er das nicht tut, wird es zu Konsequenzen kommen.“ Diese Drohung hatte Marquard allerdings vor Kochs jüngsten antisemitischen Äußerungen schon einmal ausgesprochen. Koch ist ihm auch heute immer noch gut genug für einen der ersten zehn Listenplätze zur Landtagswahl. Der Landtagsabgeordnete Werner Rettig, nach seinem SPD-Austritt jetzt UWN-Vertreter, sieht ebenfalls keinen Grund zur Aufregung: „Nicht jeder hat die Gabe, sich so geschliffen auszudrücken, daß alle daran Wohlgefallen finden.“ Im Kern stimme er mit vielen von Kochs Meinungen überein, lege jedoch Wert darauf, daß die UWN nicht rechtsradikal sei. Berührungsängste hat er hier aber offenbar auch nicht: Auf einen Vergleich von Kochs Äußerungen mit denen rechtsextremer Parteien stellte Rettig fest: „Wenn die Republikaner etwas sagen, ist es deswegen doch nicht falsch, wenn sie damit die Mehrheit der Bevölkerung vertreten.“ Kristian Binder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen