Wahrer Groschenroman

Nach Heimsieg über SV Meppen: Hoffnungsschimmer für  ■ St. Pauli

Ein Fußballspiel kann kitschig sein. Oder wie soll man solch eine Geschichte sonst bezeichnen? Ein junger Mann, an den Widrigkeiten des Lebens eigentlich gescheitert, erhält seine allerletzte Bewährungschance und nutzt sie gänzlich unerwartet. Das riecht nach Groschenroman, doch manchmal hängen auch echte Schicksale dran — zum Beispiel das des FC St. Pauli.

Der hatte am Dienstag abend Meppen zu Gast und war in seinem vorletzten Heimspiel zum Siegen verdammt, ansonsten wäre der zweite Abstieg innerhalb von drei Jahren besiegelt gewesen. Doch da war Martin Driller vor. Zu Beginn der zweiten Halbzeit eingewechselt, verschaffte er seiner Mannschaft mit zwei Toren (56., 59.) etwas Luft und sich selbst ein triumphales Comeback. Kurz zuvor (51.) war ein anderer Paulianer ebenso publikumsnervenentlastend zu Werke gegangen: „Leoooo“ Manzis 1:0 ließ die 16 000 Fans am Millerntor (natürlich ein Hexenkessel) erlöst aufspringen und siegesduselig „Oh, wie ist das schön“ skandieren, was ebenso verständlich wie unangemessen war.

Man täusche sich nicht. Zwar siegte der FC mit 3:0, doch insgesamt kickte die Millerntor-Equipe so konzept- und harmlos wie all die Wochen zuvor. Erst der Platzverweis für den Meppener Rauffmann (nomen est omen) brachte die Kiezkicker in Wallung. „Das hat uns die Sache erleichtert“, gab Pauli-Trainer Seppo Eichkorn freimütig zu. Gewohnt bescheiden ließ er einen ebenso wichtigen Grund für den Sieg unter den Tisch fallen: sein meisterhafter Schachzug, den Libero-Posten aufzulösen und Dirk Dammann ins Mittelfeld zu beordern. Bis die Gäste wußten, wie ihnen geschah, war es bereits zu spät. „Zu zehnt waren wir nicht mehr fähig gegenzuhalten“, ließ Meppens Coach Horst Ehrmanntraut verlauten. Und pries die ekstatischen Fans: „Das wirkte, als würde die ganze Stadt mitfiebern.“

Zweimal noch (in Homburg und Hannover) hat der Anhang des Kiezclubs Gelegenheit zu zeigen, daß zumindest er mehr als zweitligareif ist. Die Kicker hingegen müssen den Beweis noch antreten, wozu das 3:0 ein wichtiger Schritt war. Doch der 17. Rang ist kein Ruhekissen. „Wir müssen realistisch bleiben“, warnt Eichkorn. Er weiß, daß der Fußball zuweilen auch Tragisches in seinem Repertoire hat. Clemens Gerlach