Reiche Stadt, arme Kinder

■ Bilanz des Kinderschutzbundes: Spielfläche, Betreuung und Lobby fehlt

: Spielfläche, Betreuung und Lobby fehlt

Sie können weder rückwärts laufen noch rückwärts zählen, vom Bäume klettern oder Hütten bauen ganz zu schweigen. Statt dessen sitzen sie stundenlang vor der Glotze, ernähren sich von Pommes und Cola und müssen sich beim Spielen auf schmale Bürgersteige und zugeschissene Grünflächen beschränken. Kinderleben in der Großstadt, für viele eine Qual, die oft folgenschwere Spuren hinterläßt.

Eine traurige Bilanz zog der Hamburger Kinderschutzbund gestern anläßlich seines 40jährigen Bestehens. Und sein Leitspruch für die kommenden Jahre klingt dementsprechend trüb: „Reiche Stadt - Arme Kinder“. Mit Grund: denn die Erlebnisse der MitarbeiterInnen der drei Projekte (Mädchentreff Ottensen, pädagogischer Mittagstisch, Kinderschutzzentrum) sind erschreckend. „Für viele Kinder ist eine tägliche warme Mahlzeit keine Selbstverständlichkeit mehr“, berichtet Uwe Hinrichs, „wir müssen ihnen regelrecht das Essen beibringen.“ In vielen Schulen wird deshalb den Kindern vor dem Unterricht ein Frühstück angeboten.

„In Hamburg als einer der reichsten Städte Europas sind immer mehr Kinder von Armut bedroht“, beklagt der Kinderschutzbund-Vorsitzende Wulf Rauer. Rund 47 000 Kinder und Jugendliche leben derzeit von Sozialhilfe, in einigen Vierteln sogar bis zu 50 Prozent. Ein besorgniserregender Zustand, denn alle Untersuchungen weisen darauf hin, daß Armut inzwischen als „vererblich“ gilt.

Auch entwickele sich das Auto zum Hauptkonkurrenten des Kindes: Jede Blechkarosse, so Rauer, verschlänge alleine 12,5 Quadratmeter Parkfläche, jedem Kind werde hingegen nur 3,5 Quadratmeter Spielfläche zugestanden. So sei bereits jedes 10. Hamburger Kind unter 14 Jahren bereits einmal in einen Unfall verwickelt gewesen - damit sei Hamburg die zweitgefährlichste Stadt Deutschlands.

Doch mit einer stärkeren Lobby für Kinder tut sich Hamburg bislang schwer. Bereits zweimal, so Rauer, habe die Bürgerschaft einen Antrag zur Schaffung eines Kinderschutzbeauftragten abgelehnt, auch an einer Kinderkommission habe die regierende SPD kein Interesse gezeigt. Um Hamburg kinderfreundlicher zu gestalten, so fordert der Kinderschutzbund, müßten die Behörden besser zusammenarbeiten und auch finanzielle Prioritäten gesetzt werden. sako