Die gute, alte Schule

Die deutschen Volleyballerinnen dürfen beim lukrativen Grand Prix in Japan mitpritschen  ■ Von Holger Gertz

Anfang des Jahres war es beim Bremer Nationenturnier, die Deutsche Nationalmannschaft der Volleyballerinnen hatte gerade den größten Erfolg seit langem geschafft und sich für den Grand-Prix in Asien qualifiziert, als Bundestrainer Siegfried Köhler den Zeitpunkt für gekommen hielt, Forderungen zu stellen. Damit seine Elevinnen den hoffnungsvollen Trend fortsetzen können, sagte Köhler, will er sie in Zukunft das ganze Jahr über um sich scharen und trainieren, trainieren, trainieren. Nur beständig harte Arbeit sei es schließlich, die aus dem Mittelmaß herausführe, weshalb die Frauen aus dem Bundesligabetrieb herausgelöst werden und an einem Ort zusammengezogen werden müßten. „Die Konzentration“, sagte Köhler, „ist unerläßlich.“

Inzwischen ist diese Art von Konzentration vom Tisch. Woher das Geld kommen soll für eine ganzjährig zusammengezogene Auswahl, wer die Spielerinnen bezahlt, sie beruflich absichert, die laufenden Kosten deckt, konnte Köhler genauso wenig sagen wie die Herren aus dem Verbandsvorstand. Und keiner der Vereine war bereit, zugunsten des Landesteams auf seine besten Kräfte zu verzichten. Dann könne man gleich den Bundesligabetrieb einstellen, grummelten die Manager, und Köhler ließ enttäuscht ab von seinen hochfliegenden Plänen.

Die Debatte dokumentiert das Dilemma, in dem sich Siegfried Köhler befindet: Die Zeiten haben sich geändert. Eine Größe war er im Sport der erloschenen DDR, holte als Clubtrainer von Dynamo Berlin die Titel im Dutzend und wurde mit dem Frauen-Nationalteam 1987 Europameister, 1989 Zweiter. Was er forderte, ob Trainingszeit oder Geld, wurde bewilligt; Volleyball förderte das Prestige des Staates. Bedingungen wie damals würde er sich auch heute als Bundestrainer wünschen, schließlich habe doch der Erfolg bewiesen, „daß zumindest im Sport das System funktioniert hat“. Jede Gelegenheit nutzt Köhler, die Vorzüge der Vergangenheit zu beschwören. Als zu Saisonbeginn die Mannschaft von Bayern Lohhof ein Bundesligaspiel gegen den Schweriner SC deutlich verlor, meldete sich Köhler auf der Pressekonferenz zu Wort und interpretierte das Ergebnis als Sieg „der guten alten Schule“. Als er nach dem Bremer Turnier gefragt wurde, warum er die bereits zurückgetretene Schweriner Angreiferin Ute Steppin reaktiviert habe, nannte er ihre „früh angeeigneten Fähigkeiten, die ihresgleichen suchen in der Bundesliga“.

Die Kriterien, nach denen Köhler sein Personal für das Nationalteam zusammenstellt, lassen Kenner der Szene argwöhnisch werden. Das Zwölf-Frauen-Team, welches vor wenigen Tagen gen Tokio aufbrach, um ab morgen beim Grand Prix, ohne sich sonderliche Chancen auf die Qualifikation für das Finalturnier in Hongkong auszurechnen, gegen spielstarke Teams wie Rußland, Kuba, China oder die USA um beachtliches Preisgeld zu streiten, rekrutiert sich zu großen Teilen aus Spielerinnen, die Köhler noch von früher kennt.

Die Nominierung von Christina Schultz, Ines Pianka oder Susanne Lahme ist zweifellos berechtigt, womit sich aber die ehemaligen Ostberlinerinnen Silke Jaeger und Constanze Radfan eine Berücksichtigung verdient haben, mag sich nur schwer erschließen. Erstere hat in Lohhof eine durchwachsene Saison gespielt, Constanze Radfan ist nicht einmal in ihrem Verein CJD Berlin mehr erste Wahl.

Gudrun Witte, 370malige Nationalspielerin und gerade von Feuerbach nach Lohhof gewechselt, spricht aus, was viele denken: „Die da mitfliegen, sind nicht die Besten der Liga, absolut nicht.“ Eine Meinung, mit der Köhler wird leben können; früher ungewohnter Kritik stellt er sich inzwischen mit geübter Gelassenheit. „Daran“, sagt er, „habe ich mich hier fast am schnellsten gewöhnt.“