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Das Erzgebirge – ein Steinbruch?

Riesenflächen im sächsischen Vogtland und Erzgebirge sollen zu Baugestein verarbeitet werden / Die Bürger fühlen sich von den alten und neuen Mächtigen verschaukelt  ■ Aus Sosa Klaus Wittmann

Der Arzt Christoph Irmisch, aktiver Umweltschützer schon zu DDR-Zeiten, blickt von der Anhöhe hinab zur idyllisch gelegenen Talsperre Eibenstock. „Das alles hier würde zur Kraterlandschaft, wenn die Abbaupläne Wirklichkeit werden. Dort drüben der Gerstenberg, der würde völlig abgetragen, was bliebe da noch von unserem Erzgebirge übrig?“ fragt Irmisch, der heute für das Bündnis 90/Grüne im Kreistag Aue sitzt. Bernhard Teubner, DSU-Bürgermeister der 2.500-Seelen-Gemeinde Sosa, nickt zustimmend. „Mit unserer einzigen Zukunftschance, dem Fremdenverkehr, wäre es endgültig vorbei.“ Rücksichtslos werde hier, im Naturpark Westerzgebirge, ein Vorhaben durchgeboxt, ohne die Menschen, die hier wohnten, wenigstens anzuhören.

Was Irmisch und Teubner trotz grundsätzlich unterschiedlicher politischer Weltbilder zu Verbündeten macht, sind über 1.000 Anträge von Bergbauunternehmen aus aller Welt auf einen großflächigen Gesteinsabbau in Sachsen, vorwiegend im Westerzgebirge und im Vogtland. Die beiden Politiker wissen die Bevölkerung hinter sich. Allein in den drei Ortschaften Obererinitz, Bärenwalde und Rothenkirchen wurden in kürzester Zeit 18.000 Unterschriften gegen die geplanten Steinbrüche gesammelt.

Ohne Umweltverträglichkeitsprüfung, ohne Planfeststellungsverfahren und ohne Raumordnungsverfahren soll im Schnelldurchgang eine so drastische Ausbeutung der Bodenschätze durchgesetzt werden, daß sich allerorts Bürgerinitiativen gegründet haben. Die Menschen in der ehemaligen Uranabbau-Region fürchten, daß ihnen nach der Wismutzeit nun die Steinbruchepoche droht.

Insgesamt soll im Erzgebirge und Vogtland eine Fläche von rund 5.000 Hektar ausgebeutet werden. 2,5 Millionen Bäume müßten gefällt werden, kritisieren die Bürgerinitiativen. Der Wasserhaushalt sei in Gefahr, und das viele Geld für teure Tourismuskonzepte wäre zum Fenster hinausgeworfen. Denn trotz der Wismut-Altlasten, die laut Irmisch nur einen Teil des Erzgebirges beträfen, sei die Region prädestiniert für den Ausbau des Fremdenverkehrs.

Doch in „wahrer Goldgräberstimmung“, kritisiert die sächsische Landtagsabgeordnete des Bündnis 90/Grüne, Kornelia Müller, versuchten die antragstellenden Firmen vollendete Tatsachen zu schaffen. Sie gibt zu bedenken, daß Steinbrüche nur wenige Arbeitsplätze schafften, dafür in der Land- und Forstwirtschaft sowie dem Fremdenverkehr, viele zerstören würden.

Möglich wird der großflächige Gesteinsabbau, gegen den bereits Tausende von Unterschriften gesammelt wurden, durch den Einigungsvertrag, der zweierlei Recht im Bergbau Ost und West festschreibt. Während in Westdeutschland nur wenige Bodenschätze „bergfrei“ (und damit in Staatseigentum) sind, Sand und Steine daher dem Grundstückseigentümer gehören, sind nach ostdeutschem Bergrecht fast alle Bodenschätze bergfrei. Gegen dieses zweierlei Recht haben in Brandenburg, wo ebenfalls ein großflächiger Abbau von Bodenschätzen geplant ist, 98 Bürger Verfassungsklage eingereicht. Mehrere Landkreise und Gemeinden, darunter der Kreis Aue und die Gemeinde Röthenbach/Vogtland, haben außerdem Verwaltungsklage gegen den Freistaat Sachsen, vertreten durch die zuständigen Bergämter, eingereicht.

Der Röthenbacher Bürgermeister Erich Wilhelm und der Umwelt- und Baudezernent des Landratsamtes Aue, Otto Sonntag, wehren sich dagegen, daß die Gemeinden und Landkreisverwaltungen nur unzureichend informiert und viel zu spät gehört werden. Mit einem simplen Trick werde versucht, die Bürgerbeteiligung zu umgehen. Bei Abbauflächen von über zehn Hektar ist ein Planfeststellungsverfahren und somit eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschrieben. Mit einer simplen Salamitaktik würden aber immer nur Flächen knapp unter zehn Hektar beantragt. Gerd Hofmann, Leiter der Abteilung Bergwesen im sächsischen Wirtschaftsministerium, kontert hart. „Die sollen doch froh sein, wenn weniger als zehn Hektar abgebaut werden“, meint er.

Umweltdezernent Sonntag weist auf ein weiteres Problem hin: den Schwerlastverkehr, der auf die Städte und Gemeinden zurollen wird. „Wenn hier alle fünf Minuten ein 40-Tonnen-Laster durch die Ortschaften donnert, dann werden nicht nur die Bürger gefährdet, sondern auch unsere Straßen völlig zerstört, weil die dafür gar nicht den erforderlichen Unterbau haben.“ Für den Wirtschaftsministeriellen Hofmann ist es hingegen „immer noch besser, in Sachsen Gestein abzubauen, als die Straßen mit Lkws aus der Tschechischen Republik oder Polen zu verstopfen, die von dort Billigsteine ins Land karren“.

Besonders sauer reagieren die Bürger auf den geplanten Gesteinsabbau mitten im Naturpark Westerzgebirge auch deshalb, weil sie sich von „denen, die früher schon das Sagen hatten, verraten und verkauft“ fühlen, wie es Dr. Irmisch formuliert. „Die Bonzen Ost und West machen alles gemeinsam platt. Genau daran kranken wir, und daran gehen wir vielleicht auch zugrunde, an diesem Zusammenpacken von nicht bewältigter Vergangenheit bei uns mit westdeutschem Großkapital.“

Irmisch und seine Mitstreiter sind empört, daß einige Wismut- Obere in leitende Positionen bei den antragstellenden Bergbaufirmen oder den von diesen beauftragten Planungsbüros gewechselt sind – zusammen mit den detaillierten Katasterblättern über Bodenschätze der „Kommission für staatliche Vorratswirtschaft“. „Wer hat die genauen Koordinaten der Lagerstätten an die Antragsteller verraten?“ heißt es auf einem Flugblatt, das zur Unterschriftensammlung aufruft. Schließlich gehört das Abbaugebiet spätestens seit den Wismutzeiten zu den geologisch am besten erkundeten Gebieten Europas.

Existenzen würden bereits heute zerstört, beispielsweise die des Köhlers Dieter Marggraf. Er ist einer der letzten beiden Vertreter dieses aussterbenden Berufes im Erzgebirge. Sein Betrieb im alten Steinbruch bei Sosa läuft hervorragend. Hauptsächlich Grillkohle produziert er hier. Doch nachdem die Verhandlungen mit der Treuhand über den Kaufvertrag bereits unterschriftsreif waren, kam einen Tag vor der Unterzeichnung die Hiobsbotschaft aus Berlin. „Obwohl ich die Vorkaufsrechte habe, wurde mir vom Anwalt der Treuhand mitgeteilt, daß eine westdeutsche Firma den Grund gekauft hat und somit der Vertrag geplatzt sei.“

Verbittert ist der Köhler, dessen Existenz damit ebenso runiert ist wie die seiner Familie und seiner sechs Mitarbeiter, daß der frühere Forstdirektor, ein alter SED- Mann, plötzlich „just bei dieser westdeutschen Firma in leitender Position tätig war“.

Im sächsischen Wirtschaftsministerium, wo man dringend vorzeigbare Erfolgserlebnisse braucht, ist man hingegen froh über die abbauwilligen Firmen. Sachsens Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) freut sich, einmal keine Subventionen für den Aufbau neuer Unternehmen zahlen zu müssen, sondern nach Überschlagsrechnungen sogar zwei Millionen Mark pro Jahr nach der neuen Förderabgabenverordnung in die Staatskasse zu bekommen. Schommer gibt allerdings zu, „daß dieses Beteiligungsverfahren in den Wirren der Wendezeit nicht immer so durchgeführt wurde, wie dies für alle Beteiligten wünschenswert gewesen wäre“.

Aber der Wirtschaftsminister bricht gleichzeitig eine Lanze für die Bergbaufirmen. Am 30. März 1993 schrieb er an den sächsischen Landtagspräsidenten, „daß die derzeitige Regelung des Bergrechts der neuen Bundesländer nach Auffassung der sächsischen Staatsregierung verfassungskonform ist“. Doch schon wenige Zeilen später vollzieht der Minister die Wende. Da schreibt er, daß sich trotzdem die Staatsregierung für eine materielle Angleichung des Bergrechts in den neuen an das der alten Bundesländer ausspricht.

Diese Ausführungen hält die Abgeordnete Kornelia Müller für pure Augenwischerei. Zum einen sei der Minister für die derzeitigen Nutzungsrechte, „um stabile Unternehmen dieser Branche nicht zu gefährden“, zum anderen würden mit dem Gesteinsabbau vollendete Tatsachen geschaffen, bis es irgendwann einmal zur Rechtsangleichung käme.

Abteilungsleiter Hofmann hält das für überzogene Ängste. Die Abbaubewilligungen seien doch nur eine Vorstufe, damit die Firmen ihren Claim abstecken könnten und gegen Konkurrenz geschützt seien. Vielmehr komme es auf die Betriebspläne an, und bei denen würde dann sehr wohl darauf geachtet, daß die Umweltverträglichkeit gewährleistet sei, versichert Hofmann. Eines der klassischen Argumente fehlt jedoch aus dem Hause Schommer: Zur Zahl der neuen Arbeitsplätze wolle man erst dann etwas sagen, wenn die Steinbrüche in Betrieb seien. Das Wirtschaftsministerium, verspricht Hofmann, werde aber darauf achten, daß im Tourismus keine Stellen vernichtet werden.

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