Streit um die Stasi bremst die Akademiefusion

■ Forderung nach Gauck-Überprüfung der Mitglieder wegen Stasi-Nähe

Berlin (taz) – Am heutigen Donnerstag wollte das Berliner Abgeordnetenhaus den Staatsvertrag zur Neugründung der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Künste verabschieden und damit einen Schlußstrich unter die nunmehr zwei Jahre währende Auseinandersetzung um diese traditionsreiche Institution ziehen. Daß daraus erneut ein Fragezeichen wurde, die Fusion der ehemaligen „Akademie der Künste der DDR“ mit der Westberliner „Akademie der Künste“ um mindestens drei Wochen verschoben ist, ist Resultat des massiven Protestes einer ganzen Reihe von Künstlern und Ex-Mitgliedern Sie sehen sich durch die Art der Vereinigung, aber auch durch eine überraschende Intervention von Bundeskanzler Kohl ausgegrenzt. Dieser hatte Ende April „mit Befremden und Sorge“ die beabsichtigte En- bloc-Übernahme der Mitglieder der Ostberliner Akademie in die westliche Schwesterorganisation beobachtet.

Kohl stellte damit einen fragilen Kompromiß in Frage, der nach monatelangen Auseinandersetzungen in der West-Akademie um den Preis des Austrittes von 26 Mitgliedern gefunden wurde. Gegen deren Protest hatte die Westakademie am 2. Februar 1992 beschlossen, ihre Ost-Kollegen und Kolleginnen en bloc zu übernehmen und nicht, wie es Satzung und Tradition entsprochen hätte, durch individuelle Zuwahl. West-Akademiepräsident Walter Jens sah den Sonderweg der Vereinigung gerechtfertigt, nachdem sich die Ost- Akademie „von ihren politisch belasteten Mitgliedern“ getrennt hatte. Von ursprünglich 110 verblieben 64 Personen.

Mit des Kanzlers Wort im Rücken, wagte nun eine junge Garde von CDU-Opponenten im Berliner Abgeordnetenhaus gegen Diepgens Willen das fragwürdige Gründungsverfahren kurz vor seinem Abschluß auszubremsen. Der kulturpolitische Sprecher der Partei, Uwe Lehmann-Brauns, erkor sich zum Interessensverwalter der Dissidenten der DDR-Kunstszenerie, als er am Dienstag in einer parlamentarischen Anhörung die Überprüfung der Akademiemitglieder durch die Gauck-Behörde forderte. Der Komponist Wolfgang Hohensee sah einen solchen Schritt geboten, schon weil sich unter den ehemaligen Ost-Akademiemitgliedern weitere befänden, die „ziemlich enge Kontakte zur Stasi“ hatten. Eine Einschätzung, für die das Mitglied der Enquetekommission zur Aufarbeitung der SED-Vergangenheit, Manfred Wilke, Belege vorbrachte. Aus einem ZK-Protokoll ist ersichtlich, daß Neuaufnahmen nicht, wie es das Statut der DDR-Akademie vorsah, durch die Vollversammlungen erfolgte, sondern, so Wilke, „in der Hand der SED lag“. Bärbel Bohley und Freya Klier protestierten dagegen, diesen „Ostfilz“ zu übernehmen. Statt dessen solle sich die Wiedervereinigung der Akademien in einer Neugründung manifestieren.

Einer Neugründung widersprach Jens jedoch ebenso kategorisch, wie er auch einer Stasi-Überprüfung eine Absage erteilte. Die Akademie verfiele dann „rüder Spruchkammermentalität“. „Statt der Gleichberechtigung von Ost und West triumphierte die Arroganz der über die Würde der vermeintlich Besiegten unbekümmert Siegenden“. Immerhin konzedierte Jens, daß, wer gespitzelt habe, nicht Mitglied der Akademie sein könne. Für diesen Fall könne jeder, laut Satzung, wegen „eines der Akademie unwürdigen Verhaltens“ ausgeschlossen werden. Kunert sah in diesem „Kunststück, Personen, die nicht überprüft worden sind, dennoch wegen Stasitätigkeit auszuschließen“ einen jener „unlösbaren Widersprüche, an denen die Erklärungen des Akademiepräsidenten so reich sind“. Die Kritiker der Fusion verweisen darauf, daß keiner der bekanntgewordenen Stasifälle, weder Christa Wolf noch Heiner Müller noch Manfred Wekwerth, sich aus eigenem Antrieb offenbart habe und deshalb eine „Gauckung“ erforderlich sei.

Bislang konnten sich Jens der Unterstützung der Berliner SPD und des Bündnis 90/Grüne gewiß sein. Zwar gab es aus beiden Parteien Kritik am Vorgehen, doch vermied man aus Gründen der Staatsferne eine allzu direkte Intervention. Mittlerweile neigen jedoch vor allem Ost-Parlamentarier dazu, den Bedenken der Dissidenten Rechnung zu tragen. Diese drohen mittlerweile mit der Gegengründung eine Freien Akademie der Künste, sollte sich die Jens- Linie durchsetzen. Da eine Mehrheit für den Staatsvertrag zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sicher ist, hat die SPD einer Aussetzung der Abstimmung des Staatsvertrages bis zum 17. Juni zugestimmt, um derweil einen Kompromiß mit der CDU zu suchen. Dieter Rulff