Waigel will Sozialausgaben drastisch kürzen

■ Arbeitslosengeld, Kindergeld, Renten und Berlin-Umzug auf der Liste

Bonn (AP/AFP) – Drastische Kürzungen vor allem bei den Sozialleistungen will Bundesfinanzminister Theo Waigel nach einem Bericht der Bild-Zeitung heute der Koalitionsrunde zur Sanierung des Haushalts vorschlagen. Außer „Nullrunden“ bei Renten, Beamten und Bafög seien Abstriche beim Arbeitslosengeld, aber eine Erhöhung der Beiträge geplant. Der Umzug der Regierung solle auf das nächste Jahrtausend verschoben werden, was beim Berliner Senat Protest hervorrief. Die SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus- Maier plädierte auch für Umzugsaufschub, kritisierte aber die Sozialkürzungen. Statt dessen sollen der Verteidigungshaushalt um drei Milliarden gekürzt, Großprojekte wie Jäger 90, Weltausstellung in Hannover sowie Olympische Spiele in Berlin gekippt werden.

Das Bundesfinanzministerium erklärte, die Existenz des Papiers könne zwar nicht bestätigt werden, aber Minister Theo Waigel habe selbst gesagt, alles stehe auf dem Prüfstand, es gebe keine Tabus. Eine Entscheidung sei noch nicht gefallen. Wirtschaftsminister Günter Rexrodt schloß sich der Forderung nach einem „rigorosen Sparkurs“ umgehend an und sprach sich dafür aus, das Kindergeld einkommensabhängig zu staffeln. Auch das Erziehungsgeld, das er „Geburtsprämie“ nannte, könne sich der Staat „nur in fetten Jahren“ leisten. Gleichzeitig verlangte er, die Gewerbesteuer abzuschaffen und den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf „eine Marke um 40 Prozent“ zu senken.

Waigels Pläne sollen bis 1996 für Einsparungen von rund 60 Milliarden Mark im Bundeshaushalt gut sein. Im einzelnen soll die Senkung der Arbeitslosenbezüge um drei Prozent drei Milliarden Mark Entlastung bis 1996 bringen. Fast genausoviel erwartet das Ministerium durch die Bemessung des Unterhalts- und Übergangsgeldes für Umschüler nach dem Arbeitslosengeld. 600 Millionen will es mit der Senkung der Leistungen bei ABM-Projekten um fünf Prozent sparen.

Der dickste Batzen, 18,75 Milliarden Mark bis 1996, käme durch die Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozent in die Kasse.

Die Rentenanpassung soll vom 1. Juli 1994 auf den 1. Januar 1995 verschoben werden und dann immer zum Jahreswechsel stattfinden: Entlastung 3 Milliarden Mark für den Bund, 15 Milliarden für die Rentenversicherung. Das Kindergeld fürs zweite Kind soll um 30 auf 100 Mark gekürzt werden: drei Milliarden Einsparung. Die Beamten-„Nullrunde“ 1994 soll jährlich 900 Millionen Mark sparen. Bafög- Sätze sollen nicht angepaßt werden: Ersparnis bis 1996 insgesamt 600 Millionen.

Für den Regierungsumzug sieht das Papier einen Baubeginn in Berlin „erst ab dem Jahr 2000“ vor, und das Ministerium erhofft sich davon eine Haushaltsentlastung um eine Milliarde. Weiter sieht das Papier Kürzungen der Subventionen für Kohle, Werften und Landwirtschaft mit dem Ziel vor, insgesamt 900 Millionen Mark zu sparen. Begründung: eine in den öffentlichen Haushalten drohende „Teufelsspirale nach unten“, wegen der ein „massiver Vertrauensverlust in die D-Mark nicht mehr ausgeschlossen werden“ könne.