Offener Brief an Frau Christina Weiss

■ Betr.: "Eine Besetzung der Gedenkstätte wird weiterhin nicht geduldet", 19.5.93

Betr.: „Eine Besetzung der Gedenkstätte wird weiterhin nicht geduldet“, 19.5.1993

Sehr geehrte Frau Kultursenatorin,

in der tageszeitung war (...) zu lesen, daß Sie gesagt hätten, die Roma nicht auf das Gelände der Gednkstätte lassen zu können, weil die Gedenkstätte für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben müsse.

Liebe Frau Weiss, sind Roma nicht Teil der Öffentlichkeit? Haben nicht sehr viele Menschen die Gedenkstätte besucht, gerade als die Roma vor einigen Jahren dort schon einmal auf ihre verzweifelte Lage hingewiesen haben? Die Polizei hat das Gelände abgeriegelt und bestimmt, wer die Gedenkstätte besuchen darf. Meine Familie und meine Freundin aus Süddeutschland durften gestern nicht. Wir waren potentielle Besetzer (welch ein Begriff in diesem Zusammenhang) und sollten es ein anderes Mal wieder probieren. Wann blieb ungewiß...

Ich zweifle an ihrem Öffentlichkeitsbegriff. Es scheint, Sie meinen das Gegenteil von dem, was Sie sagen, daß Sie nämlich keine Öffentlichkeit wollen und eine (leere) Gedenkstätte, wo man bei Bedarf eintritt, um sich zu vergewissern, daß die Vergangenheit, an die an diesem Ort erinnert werden soll, keine Spuren in der Gegenwart hinterlassen hat. (Die Justizvollzugsanstalt, die sich immer noch auf dem Gelände befindet, ausgenommen natürlich.)

Und nun hat diese Polizei gestern auch versucht, die erlaubte zweiwöchige Mahnwache auf dem Heinrich-Stubbe-Weg per einstweiliger Verfügung räumen zu lassen. Anlaß: Roma hatten einen Bus mit jüdischen Besuchern, die dankenswerterweise zur zugelassenen Öffentlichkeit gehören, begrüßt. (...)

Liebe Frau Weiss, ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie wissen, welche absurden Situationen die Annnahme, die Roma machten die Gedenkstätte für die Öffentlichkeit unbenutzbar und die Polizei regele schon alles, heraufbeschwören. Und daß Sie wissen, welche zusätzliche Belastung die Polizeipräsenz für Menschen bedeutet, die all ihrer Existenzgrundlagen bis an den Rand des Menschenmöglichen beraubt sind. Und die Kosten für diesen Polizeieinsatz! Könnte man diese Gelder nicht sinnvoller einsetzen?

Seien Sie konstruktiv. Setzen Sie sich ein für die Verbesserung der Lage der Roma entsprechend der diversen EG-Empfehlungen! Fordern Sie von den Politikern in Bonn, diese umzusetzen, anstatt Gelder in Staaten zu senden, wohin man Roma dann deportieren läßt, obwohl bekannt ist, daß diese Staaten Roma verfolgen und Roma gerade von dort geflüchtet sind! Fordern Sie die Bundesregierung auf, als letzte westeuropäische Nation die Resolution der UN-Menschenrechtskommission vom 5.3.92 „Schutz der Roma“ zu unterzeichnen.

Fordern Sie die Bundesregierung auf, den Roma Bleiberecht zu geben wie den Juden aus der UdSSR. Und fordern Sie von der Bundesregierung die Anerkennung als kulturelle und ethnische Minderheit! (...)

Mit freundlichen Grüßen! Angelika Reuter