Shooting-out zwischen Farmern und Viehzüchtern

■ In der GAL ist der Machtkampf um Posten voll entbrannt: Strategos wollen die grüne Bürgerschaftsfraktion »abstrafen«. Da freut sich die SPD

Für SPD-Wahlkampfchef und Spitzenkandidat Henning Voscherau sind sie schon längst eine feste Größe im anlaufenden Wahlkampf — die Flügelkämpfe der GAL. Voscherau nutzt jede sich bietende Gelegenheit, um sie herbeizureden: „Da weiß man ja gar nicht, mit wem man es zu tun hat. Diese vielen verschiedenen Grüppchen!“ Die Hamburger Grünen — ein buntgescheckter Wackelpudding?

Hamburgs Grüne sind derzeit auf dem besten Weg dazu: Noch etwas hinter den Kulissen, aber dennoch ziemlich heftig, bricht derzeit hervor, was seit der Vernunftehe vor der Wahl 1991 nicht bewältigt wurde: Die Hamburger Grünen haben jenen schmerzhaften Prozeß der Neuorientierung, den die Bundesgrünen durch die Fusion mit dem Zusammenschluß mit dem Bündnis 90 erfolgreich abschlossen, noch überhaupt nicht hinter sich gebracht.

Der große linkssozialistische Flügel der GAL, nach 1989 voller Konfusion in PDS, außerparteiliche Fundis und innerparteiliche Linke mit verwackeltem Weltbild zerfallen, erlebt derzeit ein seltsames Revival: Da werden Alt-Fundis wie Anja Kuhr oder Gabi Gottwaldt, die einst erzürnt der GAL für immer den Rücken kehrten, als Bürgerschaftskandidatinnen ins Gespräch gebracht, da fühlt sich das Ex-DKP-Mitglied Jutta Biallas zur GAL-Spitzenkandidatin berufen, da werden Abwahlkoalitionen gegen die bislang so erfolgreiche GAL- Bürgerschaftsfraktion geschmiedet. Für den grünen Wahlparteitag am 12./13. Juni zeichnen sich erbitterte Konfrontationen, ein buntes Spektakel ab. Kampfkandidaturen, Verratsvorwürfe über und unter der Gürtellinie, Mobilisierung der jeweiligen Fanclubs — für ein Shooting out nach Wildwest-Manier, zwischen Viehzüchtern (Fundis) und Farmern (grüne Pragmatiker) ist schon heute alles bestens gerüstet. Der Ausgang gilt als ungewiß, wenngleich die Viehbarone bei den innerparteilichen Wettbüros derzeit noch leicht in Führung liegen.

Für jenen Teil der Hamburger SPD, der ein rot-grünes Bündnis als Modell der Erneuerung und politischer Reformen ablehnt und der GAL allenfalls die Rolle eines handzahmen Mehrheitbeschaffers zuweisen will, kommt das wie gerufen. Das Kalkül: Präsentiert sich die GAL im anlaufenden Wahlkampf in alter Zerstrittenheit und setzen sich gar die altlinken Orthodoxen

1durch, wächst die Chance der SPD, doch noch die absolute Mehrheit zu holen. Gelingt das nicht ganz, so wird man mit einer geschwächten GAL in jedem Fall leichteres Spiel haben.

In den zurückliegenden elf Jahren hatte die SPD, GAL sei dank, dreimal mit diesem Rezept Erfolg: Im Dezember 1982 holte Klaus von Dohnanyi nach einer bitteren Wahlniederlage im Sommer die absolute Mehrheit — zuvor hatte er die GAL geschickt vorgeführt. Als im November 1986 die GAL erstmals über zehn Prozent kam, wiederholte Dohnanyi das Spiel mit einem Teilerfolg: Bei der Nachwahl im Mai 1987 wurde die SPD wieder stärkste Partei, die GAL sackte ab — es reichte für eine sozialliberale Koalition. Im Juni 1991 schaffte Henning Voscherau die Sensation gleich im ersten Anlauf: Absolute Mehrheit, weil sich die über dem Einheitsschock von 1989 auseinandergefallenen Grünen erst kurz vor der Wahl wieder zusammenfanden und mit einem flauen Ergebnis in die Bürgerschaft einzogen.

So soll es auch diesmal sein. Alles, was den Streit der Grünen fördert oder ihre Reputation schädigt, ist prima. Wer das Gegenteil will, bekommt es mit Henning Voscherau persönlich zu tun: „Gespräche von mir mit den Grünen wird es jetzt nicht geben. Und wehe, es finden solche Gespräche von führenden Funktionsträgern der SPD

1hinter meinem Rücken statt! Das wäre Illoyalität. Das hätte harte Konsequenzen für die betreffenden Personen.“ Voscherau weiß sich damit auf einer Linie mit SPD-Moderator Johannes Rau und dem Kanzlermitkandidaten Rudolf Scharping, die vom Modell der hessischen und niedersächsischen Reformpolitik überhaupt nichts halten.

Hamburgs Grüne, so scheint's, kommen Voscherau bei diesem Unterfangen tatkräftig zu Hilfe. Die Gründe dafür sind außerordentlich vielschichtig: Vielen grünen Altlinken sitzt die Wende noch wie ein Stachel im Fleisch. Ausflüge in die PDS oder die außerparteiliche Opposition endeten zwar frustrierend und erfolglos – mit einem Teil ihrer Vorhersagen behielt die Fundi- Fraktion jedoch recht: Die Einheit wurde zum ökonomischen Abenteuer, der Lebensstandard sinkt, die Neue Armut galoppiert. Das macht Mut: Gegen Sozialabbau und Umverteilung, gegen neuen Nationalismus und die neobraunen Schlägerbanden von rechts – hier stimmen die politischen Koordinaten wieder. Die Forderung einesteils des altsozialistischen GAL-Flügels, die Sozialpolitik in den Mittelpunkt des Wahlkampfs zu stellen, findet hier ihren Ursprung.

Bei der positiven Utopie, beim Zukunftsentwurf allerdings, hapert es noch ganz gewaltig. Reicht es, bloß mehr Geld von Bonn und den

1Bossen zu fordern, oder soll man gleich den Sozialimus aus dem Politmüll der 80er Jahre recyceln? Von derart bangen Fragen ganz unbeleckt präsentiert sich die GAL- Bürgerschaftsfraktion. Sie hat seit 1991 die grüne Fahne in Hamburg hochgehalten, mit zäher Arbeit und neugrünem Pragmatismus den Anschein erweckt, hier bereite sich eine politische Kraft auf eine kommende Regierungsbeteiligung vor. Besonders bitter stößt Altsozialisten in der GAL heute auf, daß es PolitikerInnen wie Martin Schmidt oder Krista Sager gelang, das konzeptionelle und politische Vakuum der alten GAL mit ihren politischen Inhalten zu füllen.

Statt jedoch die Schuld bei sich selbst zu suchen, wird heute fleißig an neuen alten Legenden gebastelt. Sager, Schmidt und Conny Jürgens hätten „geputscht“, die „Partei verraten“ und zielbewußt auf einen „Rechtsruck“ hingearbeitet, so ist zu hören. Öffentlich will das bislang noch niemand formulieren – schließlich ist auch den Neosozialisten klar, daß öffentlicher Streit dieser Qualität zuallererst der SPD nutzt. Geht man diesen klammheimlichen, deshalb innergallisch freilich nicht weniger wirksamen Vorwürfen nach, so findet man wenig Handgreifliches: Da hat sich Conny Jürgens im SAGA-Untersuchungsausschuß ziemlich ungeschickt voll auf die Argumentationslinie des FDP-Chefs Robert Vo-

1gel eingelassen, Eugen Wagner mit wirtschaftsliberalen Argumenten attackiert, ein Vorgang, der Conny Jürgens auch in ihrem engeren Umkreis schwer geschadet hat, da er ihren handwerklichen Politfähigkeiten ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellte. Rechtsputsch? Oder politische Unfähigkeit?

In der Wirtschafts-, Haushalts-, Verkehrs- und Demokratiepolitik, den Aufgabenbereichen von Martin Schmidt und Krista Sager, findet sich auch bei hartnäckigem Bemühen kein Verrat an grün-galischer Programmatik. Bleibt der Völkermord in Bosnien: Gegen diesen mit militärischen Mitteln vorzugehen, ist bei den Grünen in Deutschland und Europa heftig umstritten. Sager, Schmidt und andere forderten dies in einem Antrag auf einer GAL-Mitgliederversammlung und unterlagen. Rechtsputsch? Verrat? Oder demokratischer innerparteilicher Meinungsstreit?

Viele innergrüne Kritiker der Bürgerschaftsfraktion nervt ganz schlicht, daß ihre führenden parlamentarischen Repräsentanten in einer politischen Herzensangelegenheit anderer Meinung sind als die Mehrheit auf Mitgliederversammlungen. Dabei hat die GAL- Spitze, anders als die SPD bei der Grundgesetzänderung in Sachen Asyl, wo es einen ähnlichen Dissens zwischen Partei und Führung gab, in der Sache nicht den geringsten Einfluß auf den Ablauf der Dinge in Bosnien. Für die aktuellen Vorbereitungen zu einem grünen KandidatInnen-Ausschießen sind jedoch nicht allein grünes Bauchgrimmen und die Herzenssehnsucht nach einer Fortdauer der europäischen Genscher-Politik gegenüber Bosnien verantwortlich zu machen.

Für einen Gutteil der Partei- Funktionärsriege lautet die Parole heute schlicht „Dabeisein ist alles!“ In frisch-fröhlicher Manier wird derzeit in Hinter- und Vorderzimmern mit Senats- und Staatsratsposten geliebäugelt, wird das Kalkül angestellt, ob man selbst in die Bürgerschaft gehen, oder nicht lieber doch treue VasallInnen schicken soll, die einem den Weg an den Regierungstrog ebnen könnten. Jetzt, wo die Senatsbänke für die Grünen so nah zu sein scheinen wie lange nicht, sind plötzlich auch bei Fundis und Altsozialisten alle Berührungsängste mit Regierungsgehältern weggewischt. Im heftigen Kampf um die wenigen denkbaren Plätze stört jedeR MitkonkurrentIn. Der Pöstchendrang tobt bereits derart heftig, daß auch innerhalb jener Koalition, die sich durch Abwahl der heutigen Bürgerschaftsfraktion etwas Luft am Karrierehimmel verschaffen will, schon bösartige Fingerhakeleien angesagt sind. Einer der Kontrahenten mit einem Schuß Selbstironie: „Bayerns CSU läßt grüßen.“

Noch ist es freilich nicht ausgemacht, daß die SPD auf die Wahlkampfhilfe öffentlicher grüner Selbstzerfleischung bauen kann. Besonnene StrategInnen in beiden Lagern bemühen sich derzeit um Schadensbegrenzung. Das grüne Parteitagskursbuch hilft dabei: Am 5. Juni wird das Programm, am 12. und 13. die Kandidaten-Crew bestimmt. Damit kommen die Inhalte vor den Personen und beide werden zu einem frühen Zeitpunkt entschieden. Angesichts der überaus dünnen Personaldecke der Hamburger Grünen, zumindest was politische Spitzenpositionen anbelangt, wäre die gegenseitige Demontage schon ganz praktisch mit dem Makel der Selbstzerstörung behaftet. Vielleicht fällt sogar das Shooting out zwischen Viehzüchtern und Farmern einfach aus. „Gemeinsam ziehen wir die rote Rübe heraus“, heißt es in einem alten eingedeutschten bunten Kindergarten-Poster aus der damals noch maoistischen Volksrepublik China — bis weit in die 80er Jahre hinein zierte es viele Kinderladenwände. Sollte Mao posthum doch noch recht bekommen? Florian Marten