Töten – der Gipfel der Chancengleichheit?

Was jahrelang umstritten war, sorgt in den USA kaum noch für Aufregung: Frauen dürfen künftig Kampfeinsätze fliegen / Einer der Gründe: Die Entscheidung fiel im Windschatten der Debatte um Homosexuelle in der Armee  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Es war wieder einer dieser historischen Tage, doch die Gemüter blieben seltsam ruhig. Es gab keinerlei Nachbeben, keine Empörung oder offen vorgetragene Befürchtungen um Moral und Kampfbereitschaft der Streitkräfte, als Verteidigungsminister Les Aspin ankündigte, daß Frauen in Zukunft Kampfeinsätze fliegen dürfen. Die Demonstration am Subjekt war aus technischen Gründen nicht möglich, doch wer Zweifel hegte, daß auch Frauen Bomben abwerfen können, der wurde auf der Pressekonferenz des Ministers an Sharon Preszler, Captain der Air Force, verwiesen. „Ich kann töten“, sagte die 28jährige. „Ich kann und werde zur Verteidigung meines Landes töten.“

Radikaler kann frau herrschende Stereotypen über die Rollen der Geschlechter kaum in Frage stellen. Doch das Statement kam Sharon Preszler ganz mühelos über die Lippen – und es wurde ebenso mühelos geschluckt: von den Journalisten, den Senatoren im Streitkräfteausschuß, die am nächsten Morgen die Zeitung lasen. Die Demoskopen, in den USA meistens wichtiger als das Volk, dem sie aufs Maul schauen, befanden weder die Worte der Offizierin noch des Ministers für relevant genug, um eine ihrer notorischen Umfragewellen zu starten.

Soviel Gleichmut wäre noch vor fünf Jahren undenkbar gewesen, als unter Militärs und Politikern mehr oder weniger wissenschaftliche Aufsätze hoch im Kurs standen. In denen war zum Beispiel unter dem Titel „No Right To Fight“ zu lesen: „Frauen in Kampfeinsätzen würden die ausschließlich männliche Kampffähigkeit und vor allem die femininen Ideale zerstören.“ Männer und Frauen, die so denken, gibt es vor allem im Pentagon noch immer. Doch so zu reden gilt inzwischen als anachronistisch, wenn nicht gar unklug – und das aus mehreren Gründen.

Da ist zum einen der Umstand, daß die US-Streitkräfte in den letzten drei Jahren in den Ruf einer sexistischen und moralisch verkommenen Bastion gekommen sind. Solange sich sexuelle Gewalt gegen Frauen im Umkreis von ausländischen Stützpunkten richtete, wie zum Beispiel auf den Philippinen, interessierte dies in den USA herzlich wenig. Aufsehen erregte erst eine Pentagon-Studie von 1990, wonach ein Drittel aller befragten Soldatinnen in der Armee Opfer sexueller Gewalt geworden sind. 64 Prozent gaben an, ein oder mehrere Male durch Sprüche, Gesten oder Pfiffe sexuell belästigt worden zu sein.

Das Argument, Frauen hätten in Kampfeinsätzen nichts verloren, weil sie vom Feind vergewaltigt würden, hatte danach wenig Überzeugungskraft. „In den USA wird alle dreieinhalb Minuten eine Frau vergewaltigt“, konterte Patricia Schroeder, demokratische Kongreßabgeordnete und Verfechterin der Chancengleichheit im Militär. Um feindliches Territorium zu betreten, müssen Frauen nicht erst eine Uniform anziehen.

Der Statistik folgte zwei Jahre später der Skandal, als öffentlich wurde, daß Eliteflieger von Navy und Marines auf ihrer jährlichen Fortbildungskonferenz Soldatinnen im Spießrutenlauf die Kleider vom Leib rissen, abends Pornofilme konsumierten und die Uniform gegen T-Shirts mit dem Aufdruck „Women Are Property“ eintauschten. Im Jargon der Offiziere war die Konferenz eine „free fire zone“, in der mann sich ohne Angst vor Konsequenzen benehmen konnte, wie er wollte. Kein Zufall, daß Les Aspins Ankündigung, ab sofort auch Pilotinnen für Kampfeinsätze auszubilden, wenige Tage nach der Veröffentlichung des offiziellen Untersuchungsberichts zum „Tailhook- Skandal“ stattfand. Außerdem will der Verteidigungsminister dem Kongreß einen Gesetzentwurf vorlegen, der Frauen auch auf Schiffen die Teilnahme an Kampfeinsätzen ermöglicht.

Natürlich ist es nicht allein der Wunsch nach Imagepflege der Militärs, der die neue Politik relativ reibungslos vonstatten gehen läßt. Die Debatte um Frauen in Kampfeinsätzen würde vermutlich sehr viel hitziger verlaufen, wären nicht Pentagon, Presse, Senat und Administration vollauf mit dem Streit beschäftigt, ob Lesben und Schwule in die US-Armee offiziell integriert werden sollen. Zweifellos stabilisieren Frauenhaß und Homophobie gleichermaßen die Identität vieler männlicher, heterosexueller Soldaten. Und ob mann in der Grundausbildung vom Drill- Sergeant als „Tunte“ oder „Weib“ beschimpft wird, bleibt in der Konsequenz gleich: Es bedroht den Status der eigenen Männlichkeit und damit das Ansehen in der Gruppe.

Doch in der öffentlichen Diskussion bündelt offenbar die Dämonisierung von Homosexualität die Ängste und Aggressionen innerhalb des US-Militärs viel stärker als die Konkurrenz durch Frauen. Soldatinnen, die nicht nur im militärischen Alltag, sondern auch im Kriegsfall, genauso „gut“ wie Männer sein wollen, finden offenbar eher gesellschaftliche Akzeptanz als Soldaten, die aufgrund ihrer Homosexualität ihre Männlichkeit „verwirkt“ haben. Bei zuviel Respekt vor Soziologie und Psychoanalyse übersieht man jedoch leicht die Absurdität des Theaters: Während selbst interne Studien und Berichte des Pentagon die permanente Gewalt heterosexueller Männer gegen Frauen und Schwule dokumentieren, wird vor laufenden Kameras im Senat darüber räsoniert, ob man ersteren zumuten kann, mit schwulen Soldaten den Schlafsaal zu teilen.

Ein weiterer Umstand erleichtert die zunehmende Integration von Frauen in die US-Armee, und der ist vor allem CNN und anderen TV-Gesellschaften zu verdanken. Eben weil sie so sensationell waren, haben sich die Bilder in das Gedächtnis vieler Amerikaner eingeprägt: Frauen in Camouflage verabschieden sich kurz vor Beginn des Golfkriegs von ihren Familien – Rucksack in der einen, Gewehr in der anderen Hand – während der Ehemann mit dem Kind auf dem Arm zurückbleibt.

Über 33.000 Soldatinnen nahmen am Golfkrieg teil, und, so vermeldet Carolyn Becraft vom „Women's Research and Education Institute“ in Washington stolz, flogen Nachschub in das Kampfgebiet, leiteten Lager für Kriegsgefangene, wurden als Hubschrauberpilotinnen eingesetzt oder kommandierten Einheiten der Militärpolizei. Sie griffen nicht in Kampfhandlungen ein – soll heißen: Frauen flogen keine Bombenangriffe und wurden nicht in jenem Kampf mit Bodentruppen eingesetzt, der am Ende nicht die „Republikanische Garde“, sondern eher klägliche Überreste einer irakischen Armee vorfanden.

Frauen in Uniform tauchten erstmals 1901 in der US-Armee auf, als das Heer ein Korps von Krankenschwestern etablierte. Sieben Jahre später zog die Marine mit einem „Navy Nurse Corps“ nach. Im Ersten Weltkrieg dienten 36.000 Frauen – nicht nur als Krankenschwestern, sondern auch im Verwaltungsbereich. Im Zweiten Weltkrieg waren es über 350.000 Frauen, die unter dem Motto „free a man to fight“ in allen Bereichen außer an der Front eingesetzt wurden. Auf dem Höhepunkt des Koreakrieges dienten rund 50.000 Amerikanerinnen in Sanitäts- und Nachschubeinheiten, was 1952 von seiten der Regierung Truman mit einer Sonderbriefmarke honoriert wurde. Truman hatte zuvor eigens mehrere prominente Frauen in das „Defense Advisory Committee on Women in the Services“ (DACOWITS) berufen, welches das Verteidigungsministerium bei Rekrutierung und Einsatz von Frauen beraten sollte.

Mit Gleichberechtigung hatten diese Maßnahmen wenig zu tun. Militärs und die jeweiligen Regierungen förderten nur dann den Einzug von Frauen in die Armee, wenn Not am Mann war, also Krieg herrschte. Ihre Rolle war aufs Versorgen und Pflegen beschränkt – darüber hinaus galten sie, weil unbewaffnet und untrainiert, als schutzbedürftig. In Vietnam wurden US-Soldatinnen zum Teil über Nacht in ihren Quartieren eingeschlossen. Die Frage ist, von wem ihnen mehr Gefahr drohte: vom Vietcong oder den eigenen Soldaten.

Der Aufstieg von Frauen in der US-Armee begann 1973, als die US-Regierung die Wehrpflicht abschaffte und eine „All Volunteer Force“, eine Freiwilligenarmee einführte. Der Anteil von Frauen, der zu diesem Zeitpunkt noch 2,5 Prozent betrug, stieg in den folgenden Jahren rapide. Auf politischem und juristischem Weg wurden in den 70er Jahren erste Restriktionen aufgehoben: 1973 durften sich Frauen erstmals zu Pilotinnen ausbilden lassen; 1975 verabschiedete der Kongreß ein Gesetz, wonach Frauen auch auf Militärakademien zugelassen werden sollten (manche halten sich bis heute nicht daran). Ein Jahr später erklärte der Oberste Gerichtshof die Praxis des Pentagons für verfassungswidrig, Soldatinnen im Falle einer Schwangerschaft sofort die Entlassungspapiere in die Hand zu drücken. Quoten, die die Aufnahme von Frauen in Heer, Marine oder Luftwaffe begrenzten, wurden, wenn auch zögerlich, nach oben verschoben.

Obwohl sich das US-Militär bei seiner Rekrutierungsstrategie weiterhin auf den männlichen High- School-Absolventen konzentrierte, wählten immer mehr Frauen den Weg ins Militär – in der Regel aus den gleichen Gründen wie die Männer: einer Mischung aus Patriotismus, Abenteuerlust und der Suche nach ökonomischer Sicherheit. 1992 war die Zahl der Frauen im aktiven Dienst auf 200.000 (11,5 Prozent) angewachsen. Ihnen bietet die Armee einen sicheren Arbeitsplatz, vor allem aber finanziert sie das College-Studium, das sich viele als Zivilistinnen nie hätten leisten können. Insofern haben die Streitkräfte, so paradox es klingt, durchaus eine emanzipatorische Funktion, vor allem für Angehörige ethnischer Minderheiten.

Was über Jahre unumstößlich schien, war das mehrfach modifizierte Verbot, Frauen in Einheiten zu stationieren, die für Kampfhandlungen eingesetzt werden. Zweifellos ein Karrierehindernis, denn rund die Hälfte aller Positionen innerhalb der US-Streitkräfte blieben Frauen damit versperrt. Zahlenmäßig wird sich daran vorerst nicht viel ändern, denn die Anordnung von Verteidigungsminister Les Aspin gilt unmittelbar nur für die rund 800 Pilotinnen, die bislang bei Luftwaffe, Heer und Marine Dienst tun. Tabu sind weiterhin Einsätze auf U-Booten oder in den Kampfeinheiten der Bodentruppen – dort also, wo laut Definition des Militärs „eine hohe Wahrscheinlichkeit direkten physischen Kontaktes mit dem Feind und ein substantielles Risiko besteht, in Kriegsgefangenschaft zu geraten“.

Nun haben einfache Soldatinnen, Offizierinnen, aber auch Politikerinnen im US-Kongreß zu Recht darauf hingewiesen, daß diese Restriktion nicht, wie gern behauptet, zum Schutz der Frauen aufrechterhalten wird. Ob als Ärztin, Krankenschwester, Nachrichtentechnikerin oder Pilotin von Transportflugzeugen – Amerikanerinnen wurden in vergangenen Kriegen immer wieder an der Front oder in ihrer unmittelbaren Nähe lebensgefährlichen Situationen ausgesetzt. Es ist weniger die Angst, daß Soldatinnen getötet werden können, die den Stabschef der Air Force, General Merrill McPeak, umtreibt. Er hält es für einen „Fehler“, Bomber-Cockpits für Frauen zu öffnen. Es ist vielmehr die Angst, schreibt die Historikerin Elaine Tyler May, „daß Frauen töten können“. Wenn die US- Streitkräfte erstmals Frauen als „professionelle Killer“ zuließen, dann wären auch die letzten Reste des weiblichen Rollenklischees vom reinen, liebevollen und nährenden Wesen dahin.

Was Tyler May als eindeutig positiven Prozeß wertet, löst unter den Streitkräften enorme Verunsicherung aus: Wie soll man in einer Armee das höchste ideologische und Identität stiftende Gut, nämlich die Maskulinität, aufrechterhalten, wenn gleichzeitig die Definition von Femininität in Auflösung begriffen ist? Eine verblüffend einfache Antwort fand die US-Soziologin Christine Williams, die in einer Untersuchung über Rollenverhalten und -wahrnehmung mehrere Wochen mit Rekrutinnen beim US-Marine Corps verbrachte: Dort, wo innerhalb der US-Streitkräfte der größte Wert auf ein maskulines Image gelegt wird, achtet man am stärksten auf die Femininität der Soldatinnen.

Im Marine Corps sind Frauen verpflichtet, Make-up zu tragen. Je nach der Vorstellung vom „typisch“ weiblichen Erscheinungsbild des jeweiligen Kommandanten wurde Frauen das Tragen von Bluejeans oder das Fahren von Motorrädern untersagt. Ausbilderinnen dürfen erst dann Hosen tragen, wenn die Temperatur unter den Gefrierpunkt sinkt. Rekrutinnen berichteten, daß sie von Offizieren immer wieder auf Anzeichen einer drohenden „Vermännlichung“ untersucht wurden. Gleichzeitig werden Rekrutinnen mit dem traditionell herrschenden Frauenhaß, der bei den Marines besonders ausgeprägt ist, konfrontiert. In den Aufenthaltsräumen hängen Pornobilder; die Männer marschieren in der Grundausbildung zu Slogans wie „I don't know, but I've been told, Eskimo pussy is mighty cold“ („Ich weiß es nicht, aber mir wurde gesagt, daß eine Eskimomöse mächtig kalt ist“). Im männlichen Rekrutenslogan rangieren Frauen unter der Bezeichnung „BAM“ – eine Abkürzung für „Broad-Assed Marines“.

Fakt ist, und das mag tatsächlich zu einer heilsamen Ernüchterung über Geschlechterstereotypen beitragen, daß Soldatinnen im Zeitalter des Computer-Krieges von ihrem Tun genauso abstrahieren können wie Soldaten. „Du schwitzt, du arbeitest hart, dein Adrenalinspiegel schießt nach oben“, beschreibt Navy Lieutenant Lori Melling, Pilotin bei der Marine, die Kampfeinsätze, an denen sie in Zukunft teilnehmen darf. „Du wirfst deine Bomben ab, kämpfst dich zurück zum Flugzeugträger. Es ist das ultimative Videospiel.“

Was Melling da beschreibt, ist der Vorgang des Tötens, und „die Fähigkeit, zu töten“, so Elaine Tyler May, „ist die ultimative Chancengleichheit“. US-amerikanische Frauengruppen und Politikerinnen wählen ihre Worte weniger provokativ, meinen implizit aber dasselbe: „Wir verweigern Frauen die Chance, ihre Karriere voranzutreiben, indem sie sich für Kampfeinheiten melden“, erklärt Patricia Schroeder, als Präsidentschaftskandidatin einst Symbolfigur der US-Frauenbewegung. Auch deren stärkste Lobbyorganisation, die „National Organization For Women“, begrüßte die jüngsten Neuigkeiten aus dem Pentagon.

Dieses rein pragmatische Verständnis von Chancengleichheit innerhalb der US-Frauenbewegung ist weder neu, noch ist es im Prinzip verwerflich. Bei dem sehnlichen Wunsch, „in vier oder fünf Jahren“, so Carol Becroft, „ein oder zwei Frauen im Rang eines Drei- Sterne-Generals“ zu sehen, geht das Entscheidende jedoch völlig unter: ein ethischer Diskurs über das Töten im Krieg. An dessen Ende muß gar nicht herauskommen, daß Frauen im Militär im allgemeinen und in Kampfhandlungen im besonderen nichts verloren haben. Das Problem ist vielmehr, daß es diesen Diskurs in der US- Frauenbewegung nicht gibt. Und so mag die Fähigkeit, zu töten, der ultimative Equalizer sein; vor diesem Hintergrund wird das Dogma der Chancengleichheit jedoch zum ultimativen Tranquilizer.