■ Dänemark nach den Polizeikugeln auf DemonstrantInnen
: Ein neuer Diskurs der Gewalt

Etwas Seltsames geschieht im Märchenland Dänemark – das man oft als perfektes Modell für einen friedlichen und demokratischen Wohlfahrtsstaat ansieht. Etwas Seltsames geschieht, doch noch kaum einer hat es bemerkt. Kaum ein Politiker hat die Tatsache verurteilt, daß die dänische Polizei zum ersten Mal in der dänischen Geschichte direkt in eine Demonstration schoß. Kurz nach den Geschehnissen in der Nacht zum Mittwoch vergangener Woche schützte der sozialdemokratische Justizminister Erling Olsen von ganzem Herzen die Polizei, und dies, obwohl er keine exakten Angaben über das Geschehen hatte. Diesen Montag wurde der Polizeibericht der Regierung übergeben und enthielt wie erwartet keinerlei Kritik am Polizeigebaren. Poul Eefsen, verantwortlicher Polizeiminister, versprach sogar, die Polizei würde, „falls nötig“, wieder schießen. Erschreckend, wie schnell sich eine neue „Normalität“ etablieren kann.

Es geht nicht darum, die offensichtlich gewalttätigen jungen DemonstrantInnen und ihre Steinwürfe auf Polizisten zu verteidigen. Gewalt ist kein entschuldbares politisches Instrument in einer Demokratie. Die entscheidende Frage ist, warum die Polizei nicht besser auf die Situation vorbereitet war und warum die Politiker es immer noch ablehnen, eine unabhängige Untersuchung der Geschehnisse zuzulassen. Obwohl inzwischen feststeht, daß der erste Polizeibericht voller Lücken ist, stellte sich der Justizminister an diesem Mittwoch wieder vor die Polizei. „Wenn man jetzt eine unabhängige Untersuchungskommission einrichtet, unterminiert man das Gefühl der Offiziere, ihr Leben sei bedroht gewesen“, sagte er. Statt dessen schlägt er eine Untersuchung des Verhaltens aller Beteiligten vor, die wiederum in Zusammenarbeit mit der Polizei entstehen soll.

Der Justizminister schüttet Öl ins Feuer eines Jugendgefühls, das besagt, der Staat sei sowieso schon undemokratisch: Nicht nur, weil er die DänInnen zweimal über Maastricht abstimmen ließ, sondern auch weil er nur die Polizei mit der Untersuchung ihrer eigenen Geschäfte betraut. Kaum jemand weist darauf hin, daß weder in Frankreich, England oder Deutschland – Länder mit einer langen Tradition großer Demonstrationen und Straßenkämpfe – die Polizei sich in einer solch dilettantischen und gefährlichen Weise verhalten hätte.

Bisher bleibt alles ohne Konsequenzen für Polizeichef und Justizminister. Erst ganz langsam beginnt eine öffentliche Debatte, die Bevölkerung ist befremdlich passiv. Einmal mehr hat sich die Unschuld des dänischen Märchenlandes als falscher Mythos erwiesen. Annegrethe Rasmussen

Europa-Redakteurin bei der dänischen Tageszeitung „Information“