■ Nach dem Urnengang der KambodschanerInnen
: Hat Kambodscha die Wahl?

An diesen ersten Tagen der Wahlen in Kambodscha war fast alles surreal und voraussagbar. Die Roten Khmer drohten, wahlwillige Kambodschaner umzubringen. Die amtierende Regierung mäßigte ihre Einschüchterungsmethoden gegen Opponenten und wartete auf den Sieg. Sihanouk, Kambodschas alternder Erlöser, verließ nach einigem Druck sein Domizil in Beijing noch rechtzeitig, um in Phnom Penh die Wahlen mitzuerleben.

Die einzige Überraschung, mit der nur wenige Experten gerechnet hatten, war die Reaktion des Volkes. Die Menschen gingen in Rekordzahlen zur Wahl. Tausende wanderten oder radelten zu Wahllokalen, die nicht von den Schlägern der Roten Khmer bedroht waren. Dieses Schau-Spiel, das die meisten Außenseiter als internationalen Mißerfolg werten, war für sie real. Waren sie Narren, die aus einem Schweineohr ein seidenes Handtäschchen machen wollen, oder erschien ihnen in ihrer Situation eine mangelhafte Wahl besser als gar keine?

Es bedurfte fast eines Jahrzehnts Krieg und Verhandlungen, bis ein Friedensplan zustande kam, der zwei Milliarden Dollar kostete – das teuerste Friedensstiftungsprojekt in der Geschichte der Vereinten Nationen –, damit dieses doch recht einfache demokratische Ritual Wirklichkeit werden konnte. Zweifellos wird aus den Wahlen dieser Woche nicht das hervorgehen, was im Westen als ein repräsentatives Parlament bezeichnet wird. Das Scheitern des UN-Versuchs zur Wahrung des Friedens und die Wahlen dieser Woche waren von grundlegender Bedeutung und ein Exempel für die ganze Welt, vor allem für Bosnien. Wo immer die internationale Gemeinschaft eingreift, um Frieden zu stiften, werden nur die lokalen Gruppen zu den Verhandlungen berufen, die über Waffen verfügen. Und sobald die Diplomatie beginnt, werden alle diese lokalen Militärgruppen gleich behandelt. Die Roten Khmer waren einfach nur eine weitere „Fraktion“, die den Friedensvertrag einhalten sollte, gemeinsam mit den ehemaligen Stalinisten in der gegenwärtigen Regierung und den nichtkommunistischen Oppositionsarmeen. Die internationale Gemeinschaft hält nichts von moralischen Urteilen. Dafür bietet wiederum Bosnien den augenscheinlichen Beleg.

Als mit Ende des Kalten Krieges im Herbst 1991 in Paris ein Friedensvertrag für Kambodscha unterzeichnet wurde, hatten die ausländischen Mächte einen Weg gefunden, um die ritualisierten Kämpfe um Kambodscha zu beenden. Aber sie waren nicht bereit, die kambodschanischen Monster zu züchtigen, deren sie sich in ihrem Krieg um die Kontrolle über Kambodscha so lange bedient hatten. Deshalb auch ist die internationale Gemeinschaft heute bereit, die horrende Summe von zwei Milliarden zu zahlen. Es ist Bußgeld. Buße dafür, daß sie abseits standen, als die siegreichen Roten Khmer zwischen 1975 und 1979 den Tod von über einer Million Menschen verursachten. Noch mehr Buße, weil sie sich nach Pol Pots Sturz im Jahre 1979 mit den Roten Khmer oder der vietnamesischen Besatzungsmacht verbündeten, bis der Friedensvertrag 1991 unterzeichnet wurde.

Der Friedensplan wurde von den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates entwickelt, aber nicht von den UN selbst. Drei dieser Nationen – die USA, China und die ehemalige UdSSR – waren die wichtigsten Hintermänner dieses Krieges. Jedesmal wenn sie in der Frage des Übergangs vom Krieg zum Frieden in eine Sackgasse gerieten, fügten die Diplomaten dem Plan ein neues Programm hinzu, bis er zum ehrgeizigsten und kostspieligsten derartigen Projekt der Geschichte wurde. Dann übergaben sie den Plan an die Vereinten Nationen.

Kein Wunder, daß in Kambodscha in diesem letzten Jahr Exzeß auf Exzeß folgte. Etwa 16.000 Truppen wurden entsandt, doch ohne das Recht, das Volk gegen die Roten Khmer zu verteidigen. UN-Zivilangestellte und Vertragsfirmen ließen über Nacht Millionen Dollar in ein Land fließen, dem es an harter Währung fehlte. Gierige Nachbarn, insbesondere Thai-Geschäftsleute, nutzten diese „Übergangsperiode“ und schlugen kambodschanische Wälder kahl, räumten wertvolle Edelsteinminen aus und erwarben alles, was zum Verkauf stand – mit dem Einverständnis der kambodschanischen Machtgruppen, insbesondere der Roten Khmer. Und dennoch sah das kambodschanische Volk darin mehr Hoffnung als Grund zur Verzweiflung. Bei mehreren Besuchen im vergangenen Jahr erstaunte mich immer wieder der Enthusiasmus der Menschen.

Das ist vielleicht der Ausgangspunkt für die Frage, welche zukünftigen Lehren sich aus dem kambodschanischen Experiment ziehen lassen. Beginnen wir mit der Frage, was dem einfachen Volk helfen wird, und entwickeln wir dann daraus die Programme. Verlangen wir, daß die für die Kämpfe verantwortlichen Gruppen die Waffen abgeben, wenn sie in der Zukunft des Landes irgendeine Rolle spielen wollen. Ein radikalerer Vorschlag wäre die Forderung, daß sich auch die politischen Arme dieser bewaffneten Gruppen auflösen, damit sich neue Parteien zur Wahl stellen können. Positiv bei der Mission war die starke Wahl- Komponente, die Menschenrechtsfrage und eine innovative Informationskampagne für die Wahlen.

Umstrittener war die Schaffung einer quasi-souveränen Körperschaft aus allen kriegführenden Gruppierungen, die es den UN gestattete, als Schattenregierung zur Vorbereitung der Wahlen zu fungieren. Erst einige Monate nach Ankunft der UN wurde die Forderung erhoben, daß die kriegführenden Gruppen ihre Waffen abgaben; so konnten sich die Roten Khmer weigern, ihre Waffen abzuliefern, und blieben trotzdem bis zur letzten Minute am Friedensplan beteiligt.

Das kambodschanische Experiment wird in den kommenden Jahren untersucht und zitiert werden. Bereits jetzt gilt es als guter Grund, weitere kostspielige Friedensmissionen dieser Art zu vermeiden. Eine Antwort darauf könnte lauten, verschiedene Aspekte einer Friedensmission vertraglich festzulegen und nicht das gesamte Programm den UN zu überantworten.

Und schließlich werden die Kambodschaner selbst die Frage beantworten, ob sich diese Mission überhaupt gelohnt hat. In den kommenden Monaten wird ihr neugewähltes Parlament eine Verfassung schreiben und sich am Neuaufbau der Nation beteiligen. Es wird auch entscheiden müssen, wie es sich zu den Roten Khmer stellen soll. Zwar scheint es mir am besten, den Kambodschanern die Bestimmung ihrer eigenen Zukunft zu überlassen – aber diese letzte Frage muß weiterhin internationale Beachtung finden. Elizabeth Becker

Redakteurin beim US-amerikanischen „National Public Radio“; Kambodschaexpertin und Autorin von „When the war was over“, der ersten profunden Darstellung des Khmer- Rouges-Regimes. Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning.