Abschied vom roten Preußen

■ Gedenkfeier für den verstorbenen Heinrich Albertz im Berliner Rathaus

Berlin (taz) – Trauerfeiern sind in der Regel dazu angetan, daß der Verstorbene je nach Blickwinkel des Redenden gewürdigt wird und in der Retrospektive das vermeintlich oder tatsächlich Gemeinsame zwischen beiden hervorgehoben wird. Bei der gestrigen Gedenkstunde für Heinrich Albertz im Berliner Roten Rathaus war zu erwarten gewesen, daß der Regierende Bürgermeister, Eberhard Diepgen (CDU), in ihm seinen Vorgänger im Amte ehrt, der Vorsitzende der SPD, Johannes Rau, eine Laudatio auf den Parteifreund hält und der Bischof von Berlin-Brandenburg, Martin Kruse, die letzten Worte zum Celler Flüchtlingspfarrer der frühen Fünfziger und Schmargendorfer Pastor der späten Siebziger, dem Bruder Heinrich spricht.

Daß diese rhetorische Gliederung in diesem Fall versagte, lag an der allzu widersprüchlichen Vita des mit 78 Jahren in der vergangenen Woche in Bremen verstorbenen Albertz. Er selbst gab diesem Widerspruch den treffendsten Ausdruck, als er über die Nacht des 2. Juni 1967, die die Sollbruchstelle seines Lebens war, sagte, damals sei er am schwächsten gewesen, wo er am stärksten war. Zu diesen Antagonismen gehört auch, daß der damalige Betonfraktionär der Berliner CDU, Diepgen, über den jetzt Verstorbenen sagen kann, daß Albertz nie so stark war wie damals, ein Respekt, der dem Pastor auch von Linken gezollt wurde, als er sich den Lorenz-Entführern seinerzeit als Geisel andiente. Schon bevor Albertz als Regierender Bürgermeister über Berlin hinaus bekannt wurde, war es schwer, ihn politisch und persönlich einzuordnen. Der, wie er sich selber charakterisierte, konservative Mensch mit ewig schlechtem Gewissen wird trotzdem Sozialdemokrat. Zwar ist er zunächst einer von der damals in Berlin dominierenden Art, die ihm von Egon Bahr die Titulierung „roter Preuße“ einträgt, später sei er, daran erinnert Rau, in der Partei geachtet gewesen, wegen seiner Sperrigkeit, seines Zorns, seines Nicht-Mittuns. Das trug ihm nicht nur Freunde ein, sorgte aber dafür, so Rau, daß er, obwohl er in den letzten 25 Jahren ohne Amt und Funktion in der SPD war, „nie stärker im unserem Gewissen gewesen ist“. In dieser Zeit war er, in den Augen Bischof Kruses, ein öffentlicher Seelsorger von der Art, die es viel zu selten gibt, ein Pastor, der auch mit seinen Bischöfen nicht zimperlich umgegangen sei.

Rau stellte Albertz in die Reihe der alten Männer, die gegen den Strom geschwommen sind und im Streit gelebt haben, der Scharfs, Heinemanns und Gollwitzer, und erinnert damit daran, daß Albertz einer der letzten Verbliebenen dieser Riege humanistisch geprägter, oppositioneller Nachkriegspolitiker war. Dieter Rulff