Pro Familia wird zum Kontrolleur des Staates

■ Pro-Familia-Vorsitzende Elke Kügler und FPZ-Mitarbeiterin Elfie Meyer zur Auswirkung des Karlsruher Paragraph 218-Urteils

und FPZ-Mitarbeiterin Elfie Meyer zur Auswirkung des Karlsruher §218-Urteils

taz: Was ist das schlimmste am Karlsruher Urteil?

Elke Kügler: Die Fixierung auf den Vorrang des ungeborenen Lebens. Verfassungsrichter Mahrenholz hat im Fernsehen von „rechtswidriger Tötung“ gesprochen. Was ist das für eine Sprache, was für ein Umgang mit Frauen. Das entsetzt uns am meisten. Und dann der Fortfall der Krankenkassenfinanzierung in bestimmten Fällen. Das impliziert die alte Zwei-Klassen-Regelung: Reiche Frauen kriegen alles, arme Frauen kriegen nichts.

taz: Das trifft doch fast alle.

Kügler: Ja, das ist richtig. 80 bis 90 Prozent aller Abbrüche sind Notlagenindikationen, die nicht mehr finanziert werden. Und da, wo finanziert werden soll, bei Vergewaltigung zum Beispiel, werden die Frauen gezwungen, das akribisch zu beweisen. Das ist Ausdruck des Mißtrauens gegen Frauen.

taz: Was kostet eine Abtreibung?

Elfie Meyer: Es gibt schon heute Frauen, die ihren Abbruch selbst bezahlen, weil sie nicht versichert sind oder nicht wollen, daß es die Kasse erfährt. Frauen, die kein Einkommen haben, zahlen bei uns 200 Mark, bei Privatpatientinnen kostet es zwischen 500 und 600 Mark. Das müssen die Frauen künftig selbst bezahlen. Das ist wirklich ein Schlag ins Gesicht. Künftig werden hier wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen. Die Nachfrage nach Abbrüchen wird ja nicht zurückgehen. Die Preise werden klettern.

taz: Was bedeutet es denn, wenn staatliche Kliniken keine Abbrüche mehr vornehmen dürfen?

Meyer: Bislang ist es so, daß die staatlichen Kliniken in Hamburg sehr wenig Abbrüche durchführen, weil sie meistens ambulant gemacht werden. Es gibt in Hamburg rund 40 niedergelassene Gynäkologen und das Familienplanungszentrum, die ambulante Abbrüche durchführten. Ein Problem wird es für Frauen, die schon weiter sind und auf stationäre Behandlung angewiesen sind. Für den Osten ist das Ganze eine Katastrophe.

taz: Kann Pro Familia weiterhin Abbrüche durchführen?

Meyer: Wir haben bisher im Familienplanungszentrum das frauenfreundliche Konzept: alles unter einem Dach. Nach dem Urteil darf das nicht mehr sein. Wir müssen dort entweder auf die Beratung oder auf die Abbrüche verzichten.

taz: Was wird Pro Familia sonst noch ändern müssen?

Meyer: Was sich jetzt schon abzeichnet, ist die Pflicht, alles zu protokollieren. Da muß genau aufgelistet werden: Familienstand, Alter, Zahl der Schwangerschaften, Zahl der Kinder, Zahl der Abbrüche. Und, das ist ganz wesentlich: Dauer der Beratung, welche Informationen wurden gegeben, welche Personen hinzugezogen.

Kügler: Wenn wir uns an die Übergangsregelung halten, müssen wir auch Ehemänner und Arbeitgeber hinzuziehen. Dann ist es auch unklar, wozu diese Protokolle dienen. Ob wir die am Jahresende alle abgeben sollen, oder was. In Memmingen sind solche Unterlagen ja beschlagnahmt worden. Durch diese Regelung werden wir zum Kontrollinstrument des Staates.

taz: Was fordern Sie vom Hamburger Senat?

Kügler: Zunächst mal Sicherstellung unserer Arbeit. Finanziell und durch Ausschöpfung der gesetzlichen Möglichkeiten bis zum äußersten Rand. Zweitens: die kostenlose Abgabe von Verhütungsmitteln bis 20 Jahre müßte bekannter werden. Und die Einhaltung der Kindergartenplatzgarantie nach Schwangerenhilfegesetz bis 1996. Grundsätzlich aber muß der 218 gestrichen werden. Selbst wenn uns diese Forderung zum Hals raushängt, ist das die einzige Lösung.

Fragen: Kaija Kutter