„Ein Rückschritt in die Kaiserzeit“

■ Karlsruher Urteil macht Berliner Frauensenatorin zur Radikalfeministin / „Kostenentscheidung spaltet Gesellschaft“

„Eigentlich bin ich keine Radikalfeministin“, bekannte die stellvertretende Bürgermeisterin und Frauensenatorin Christine Bergmann, „aber nach diesem Urteil gegen den Paragraphen 218 kann ich nur zu einer werden“. Die Karlsruher Entscheidung sei kein Beitrag, der das Vertrauen der Ost-Frauen in bundesdeutsches Recht stärke. „Im Gegenteil“, warnte sie. Der Passus, wonach vom 16. Juni an weder die Krankenkassen im Westen noch im Osten einen Abbruch bezahlen dürfen, werde die Gesellschaft in „Arme und Reiche“ spalten. Gerade die Frauen aus den neuen Bundesländern, „die zwanzig Jahre mit der Fristenlösung verantwortungsvoll umgegangen sind“, seien entsetzt.

Sie selber sei „empört, enttäuscht, wütend“. Völlig unverständlich sei auch die Zurückweisung des §219, der die Beratung regelt. Wenn Schwangere mit dem ausschließlichen Ziel beraten werden, das Kind unter welchen Umständen auch immer auszutragen, sei dies keine „vorurteilsfreie Konfliktberatung“. Am besten man betraue mit der Kontrolle von Pro Familia die „Bischofskonferenz“, ergänzte sie bitter.

Empörung löste das Urteil sowohl in der Fraktion Bündnis 90/Grüne, der Berliner Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen („Lebensferne Juristen versuchen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen“) und bei den Jusos aus. Fast übereinstimmend bezeichnen sie die Entscheidung als einen „Rückschritt in das Mittelalter“. Familiensenator Thomas Krüger (SPD) attestierte: „Die Richter haben sich als gute Katholiken und schlechte Politiker gezeigt.“ Ebenfalls fast übereinstimmend fordern sie jetzt die Quotierung von Gremien, Gerichten und Entscheidungsinstanzen.

Die Fraktionsvorsitzende der FDP, Carola von Braun, bewertete das Urteil als „ein Vergehen an den Frauen und an der Deutschen Einheit“, es bevormunde die Frauen und führe zu einem „Abtreibungstourismus“. Der Präsident der Landesärztekammer, Ellis Huber, wetterte: „Das ist eine politische Vergewaltigung der Mütter und Frauen im Lande.“ Seit Jahren wisse man, daß der beste Schutz für das ungeborene Leben „ein tabuloser Umgang mit Schwangerschaftskonflikten ist“, sagte er. Der Gynäkologe Ulrich Pape-Krupe kritisierte die Entscheidung als „einen Rückschritt in die Kaiserzeit“. Er sprach dem Verfassungsgericht jede moralische Kompetenz ab, gegen die Mehrheitsentscheidung des Bundestages und die Mehrheit der Bevölkerung zu urteilen. Aus medizinischer Sicht sei es jetzt wichtig, die „Abtreibungspille“ RU 486 auf den Markt zu bringen. aku