: Harter Tourismus adieu?
Touristiker in den Alpenländern auf der Suche nach Wegen zu einem „intelligenten Tourismus“ ■ Von Stephan Lennartz
Die heilenden Kräfte der Natur werden oft beschworen. Auch einer Krise werden heilsame Wirkungen nachgesagt. Wenn beides stimmt, muß sich die alpenländische Tourismuswirtschaft keine großen Sorgen machen. Natur und Naturerleben bieten die Alpen zweifelsohne, und Krisensymptome im Fremdenverkehrsgewerbe sind unübersehbar. Also schauen die Tourismusverantwortlichen mit vorsichtigem Optimismus in die mittel- und langfristige Zukunft. Prognostiker haben ihnen nämlich versprochen, daß sich der Auslandstourismus bis zum Jahre 2010 verdoppeln wird. Warum sollten nicht auch die Alpenländer ein Stück von diesem Kuchen abbekommen und die gegenwärtige Krise überwinden? Dieser Frage gingen Tourismusfachleute nach, die auf Einladung der Thomas-Morus-Akademie Bensberg im österreichischen Bad Kleinkirchheim die Zukunft des Alpentourismus diskutierten.
Bei den Experten herrscht Konsens darüber, daß sowohl ökonomische wie auch ökologische Probleme dem gegenwärtigen Alpentourismus zu schaffen machen. Auf rund sieben Millionen Alpenbewohner kommen jährlich etwa vierzig Millionen Gäste mit fünfhundert Millionen Übernachtungen. Dennoch sind Stagnationstendenzen unverkennbar. In Kärnten bewegt sich die Auslastung der Gästebetten im Sommer seit zehn Jahren um die 40 Prozent.
Die gesamte Tourismuswirtschaft Österreichs, so erläutert Peter Haimayer von der Universität Innsbruck, ist mit etwa einem Jahresumsatz verschuldet. Auch wenn diese Zahl von rund 100 bis 120 Milliarden Schilling unterschiedlich interpretiert wird, ist doch klar, daß in nächster Zeit große Umbrüche auf die Branche zukommen. Viele, vor allem die kleinen Betriebe, stehen vor dem Aus. Die Professionalisierung der Anbieter und die qualitative Verbesserung des touristischen Angebots wird von Werbern und Anbietern dringend angemahnt. „Fortschritt, d.h. Qualitätsverbesserung, brauchen wir auch im Alpentourismus“, erklärt Klaus Lukas, Werbechef für das Urlaubsland Österreich. Thomas Rupperti pointiert diese Aussage noch: „Nur wenn man lernt, daß Tourismus eine Industrie geworden ist, die zumindest die gleichen Anforderungen stellt wie eine High-Tech- oder ähnliche Industrie, wird man die Probleme der Zukunft der Alpenländer zum Wohle aller Beteiligten erkennen und lösen.“ Rupperti hat diese Erkenntnis umgesetzt. Als Geschäftsführer der TUI-Tochter „Dorfhotels und Bauerndörfer“ managt er den größten österreichischen Hotellerie-Betrieb mit vier Appartementdörfern und zwei Hotels. Mit bemerkenswertem Erfolg: Die Auslastung ist überdurchschnittlich. Seine Vorteile eines zentralen Einkaufs und Marketings fehlen den vielen Kleinen der Branche. Deshalb wundert es kaum, daß die Zahl der Privatquartierbetten zurückgeht und der Anteil der Betten in den besseren Hotelkategorien steigt. Mit Qualitätsverbesserung meinen die Urlaubsmacher aber nicht nur die bessere Matratze oder das schmackhaftere Menü.
Zielgruppenorientierung soll dem Alpentourismus wieder auf die Beine helfen. Für die Aktiven den Aktivurlaub, für die Radler die geführte Fahrradtour, für den „grünen“ Urlauber das Bio-Hotel. Die Anbieter, so fordert es die Tourismuswissenschaftlerin Felizitas Romeiß-Stracke aus München, müssen „Gesamterlebnissituationen“ schaffen. Und das Gefühl: „Hier ist alles in Ordnung“.
Doch die ökologische Frage ist für den Alpentourismus genauso drängend wie die ökonomische. Längst sind die Lärm- und Luftbelastungen durch den Autoverkehr in den touristischen Zentren zum Ärgernis geworden. Insbesondere im Winter, wenn sich Tagesgäste und Ferienurlauber im Stau begegnen, wächst der Unmut bei Einheimischen und auch Gästen. Lösungen sind zunächst auf dem Papier in Sicht, aber zuweilen auch in der Realität. Im Schweizer Kanton Graubünden versucht man, durch eine Verteuerung der Tageskarten den Verkehrskollaps zu vermeiden. Die Maßnahme erweist sich als nicht allzu erfolgreich. Positive Erfahrungen haben die Schweizer mit gut ausgebauten Ortsbussystemen gemacht. In Arosa etwa, so berichtet Rainer Frösch von der Universität Zürich, ist der Individualverkehr um rund 40 Prozent zurückgegangen, als ein Gratisbus im Winter eingeführt wurde. Eine Entspannung der Verkehrssituation erhoffen sich die Touristiker auch dadurch, daß die Gäste zunehmend mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Bis dorthin ist es aber noch ein langer Weg. Im Kanton Graubünden reisen rund 80 Prozent der Gäste mit dem Auto an. Im Salzburger Land haben sich die Tourismusvermarkter vorgenommen, jedes Jahr ein Prozent der Gäste vom Auto in die Bahn zu locken. Natürlich nicht zum Nulltarif. Die Erfahrungen zeigen, daß bewußtseinsbildende Maßnahmen und finanzielle Anreize ineinandergreifen müssen, damit der Tourist – aber auch der Einheimische – seine Wagenschlüssel zu Hause läßt. Verbote und Kontingentierungen werden auch diskutiert, haben jedoch schlechtere Chancen auf Verwirklichung. Eine „Unterschutzstellung“ wie im Nationalpark Hohe Tauern oder Nockberge bedarf auch eines zähen Ringens um Akzeptanz. Dabei enthält das Konzept der Parks durchaus Kompromisse, die eine landwirtschaftliche und auch touristische Nutzung der Parks zumindest teilweise erlauben. Die Nockalmstraße quert als Panoramastraße gar den Nationalpark und wird von Gästen und Einheimischen als Attraktion angesehen – und entsprechend frequentiert.
Das Verkehrsproblem sehen nicht wenige Fachleute als ein Schlüsselproblem der weiteren touristischen Entwicklung. Hinzu kommt für die Tourismusindustrie die Notwendigkeit, die Akzeptanz dieses Wirtschaftszweigs in der einheimischen Bevölkerung zu verbessern, um einen „Aufstand der Bereisten“ zu vermeiden und um Arbeitskräfte zu gewinnen. Die Diskussion um die „Ortsleitbilder“ kann in diesem Kontext gesehen werden. Die öffentliche Diskussion um das Wohin und Wie der kommunalen Entwicklung ist keine lupenreine basisdemokratische Planungsentwicklung. Dazu scheinen der Einfluß des Moderators zu groß, die Zusammensetzung der Runde zu zufällig und die Ergebnisse zu unverbindlich zu sein. Dennoch hat dieses Instrument auch für die Ökologiebewegten deutliche Pluspunkte gebracht. Im österreichischen Weißensee gelang es in Folge eines solchen Diskussionsprozesses, Bauland wieder in Grünland umzuwidmen und mit finanziellen Mitteln der Gemeinde den Landwirten einen Anreiz für die umweltbewußte Bewirtschaftung ihrer Flächen anzubieten.
Das bloße Mengenwachstum ist auch in der Ferienbranche an seine Grenzen gestoßen. Einen intelligenten Tourismus, das ist ein Fazit der Tagung in Kärnten, wollen inzwischen fast alle Beteiligten. Doch über Inhalte und Umsetzung gehen die Meinungen schnell wieder auseinander. Ökonomie und Ökologie weisen im Alpentourismus zuweilen in dieselbe Richtung. Aber daß sie deckungsgleich sind, wird keiner behaupten.
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