Spielen, wo der Spargel wächst

■ Wallau/Massenheim will morgen den Europapokal der Landesmeister holen

Frankfurt (taz) – Dort zwischen Wiesbaden und Frankfurt, wo im „Ländchen“ der Spargel wächst, dort sind die Leute nur schwer aus der Ruhe zu bringen. Weder von den Autolawinen, die täglich an ihnen vorbei zu einem bekannten schwedischen Möbelhaus rollen, noch von den seltenen Niederlagen ihres lokalen Handballclubs. Schlechte Schiedsrichterleistungen werden bestenfalls ignoriert, nie kommentiert. Doch vergangenen Samstag war es dann soweit: Wallau/Massenheim hatte das erste Endspiel um den Europapokal der Landesmeister bei Badel Zagreb mit 17:22 verloren, nicht zuletzt aufgrund von elf (!) Siebenmetern für die kroatischen Gastgeber, gegenüber drei der Gäste. Trainer Heiner Brand platzte der Kragen: „Die beiden Herren in Schwarz haben das Spiel maßgeblich beeinflußt.“ Im übrigen aber habe man am Anfang einfach zu statisch reagiert. So untypisch die erste Reaktion ist, so typisch ist die zweite für diesen Verein. Während andere Teams heilfroh gewesen wären, nur mit fünf Toren bei einer Mannschaft zu verlieren, die ihre Gegner sonst mit zehn Toren zu distanzieren pflegt, macht sich der alte und neue Deutsche Handballmeister darüber Gedanken, so ein Spiel vielleicht auch zu gewinnen.

Wallau/Massenheim gibt sich nicht mit „taktischen“ Niederlagen zufrieden. Die Wallauer machen dieses unsägliche, aber beliebte Spielchen nicht mit. Das unterscheidet sie von den anderen deutschen Mannschaften, und die bekommen das auch zu spüren. Den letztjährigen Finalisten Leutershausen demontierten sie in dessen eigener Halle mit 24:17, und auch der THW Kiel bekam seine eigenen Fehler schmerzlich vor Augen geführt. Seine Auswärtsniederlage machte den zweiten Titelgewinn für die Hessen vorzeitig perfekt. Ausgerechnet Kiel, das selbst vergeblich über Jahre versucht hatte, deutscher Meister zu werden. Deren schwergewichtiger Manager Heinz Jacobsen mußte eingestehen: „Wallau hat einfach die beste und homogenste Mannschaft. Es reicht eben nicht aus, nur Stars zu kaufen – sie müssen auch zusammenpassen.“

Was sind das für Spieler, die in den letzten beiden Jahren alle Wettbewerbe gewannen, an denen sie teilgenommen haben? Allein sechs von ihnen haben mehr als 63 Tore in der Bundesliga geworfen, davon vier mindestens hundert und einer (Martin Schwalb) gar zweihundert. Einen solch ausgeglichenen Angriff weist mit Abstand kein anderes Team in Deutschland vor. Kein Wunder, schließlich sind alle sechs Nationalspieler – vier allerdings mit dem kleinen Wörtchen „Ex“ davor. Diese vier (Schwalb, Schoene, Oster und Stoschek) bedachte man einst mit dem wenig schmeichelhaften Prädikat „Loser-Generation“. Diese Generation wurde als schuldige für den Umstand ausgemacht, daß die bundesdeutsche Nationalmannschaft in den Achtzigern bis in die C-Gruppe abstieg. Offensichtlich haben die „Loser“ am Gewinnen nicht nur wieder Geschmack gefunden, sondern es auch nicht verlernt. Hinzu kommt mit dem Finnen Mikael Kaellman der derzeitige „Handballer des Jahres“ und noch zwei „Ex“: der überragende Ex-DDR-Nationaltorhüter Peter Hofmann (mit jugendlichen 38 Jahren) und der einzige aktuelle Wallauer Nationalspieler, ebenfalls aus der Ex-DDR, Mike Fuhrig.

Zusammen hat diese „Legionärstruppe“ eine Spielkultur entwickelt, die selbst die wieder recht passabel agierende Nationalmannschaft nicht bieten kann. Handball „gearbeitet“ wird höchstens im Training, beim Wettkampf dagegen ist immer „Sonntag“, da wird „gespielt“. Und was heißt schon „Legionärstruppe“? Die Spieler fühlen sich in der dörflichen Umgebung nicht fremd. Nichts konnte dies deutlicher machen als die Meisterschaftsfeier nach der erfolgreichen Titelverteidigung. Da gibt es kein VIP-Zelt, wohin sich die Stars mit ihrem Gefolge zurückziehen. Ein Martin Schwalb stellt sich beim Äppelwoi genau so an wie die Erika von gegenüber. Und bedenkenlos wagt der Mike mit dem Mikael ein Tänzchen, wenn das Vereinsunikum Franz Rother auf seiner Hammondorgel „Paloma Blanca“ intoniert.

Der harmonische Wallauer Schmusekurs gilt allerdings nicht für die Gegner während der 60 Minuten auf dem Handballparkett – da spielt dann „eine ganz abgezockte Truppe“ (Leutershausens Trainer Jürgen Hahn). Für das Europapokal-Rückspiel gegen Zagreb am morgigen Sonntag hat sich Manager und Wallaus „Mr. Handball“ Bodo Ströhmann eine Premiere einfallen lassen: Die Begegnung findet vor etwa 10.000 ZuschauerInnen der Frankfurter Festhalle statt. Der clevere Marmorhändler hat in weiser Voraussicht auch das Endturnier der letzten vier um den DHB-Pokal nach Hessen geholt. Was bleiben da noch für Ziele? Einen Traum habe er noch, gesteht Bodo Ströhmann augenzwinkernd: „Irgendwann werden wir den Europäischen Handball-Supercup im Frankfurter Waldstadion vor 60.000 austragen.“ Oder hat er doch nicht gezwinkert? Matthias Kittmann