Ohne Paß läuft der Countdown ins Nichts

■ Ein Kölner Anwalt betreut strafverfolgte Süchtige in Amsterdam

Amsterdam (taz) – Micha erinnert sich. „Mit 16 hatte ich meine erste Alkoholvergiftung. Mit 17 hab' ich den ersten Druck gemacht. Mit 19 wollte ich entziehen. Ich war bei Beschaffungsdelikten geschnappt worden. Anstelle einer Haftstrafe nahm ich das Angebot an, eine Entzugstherapie zu machen. Ich hab' die Entgiftung angefangen. Am dritten Tag ist einer umgefallen. Er starb vor meinen Augen. Da war nichts mehr mit Therapie.“ Micha floh. Wie Hunderte andere in Deutschland strafverfolgte Junkies führte den nun 22jährigen der Weg ins Rauschmittel-Mekka Amsterdam. Doch der Countdown ins Nichts läuft spätestens dann an, wenn die Papiere abgelaufen sind: Ohne Paß keine Aufenthaltsgenehmigung, keine Arbeit, keine Wohnung. Die Odyssee endet jährlich für mehr als 500 drogenabhängige Deutsche bei der Hilfsorganisation AMOC (Amsterdam Oecumenisch Centrum). Rund die Hälfte von ihnen wird zu Hause per Haftbefehl gesucht. AMOC bemüht sich um die Betreuung dieser Menschen, die Legalisierung ihres Aufenthaltes in den Niederlanden oder ihre Rückführung in die BRD.

„Ihre Schicksale gehen unter die Haut“, sagt der Kölner Rechtsanwalt Klaus Riekenbrauk, während er die steile Treppe im AMOC-Haus hinaufsteigt. Seit acht Jahren stellt er der Hilfsorganisation regelmäßig seine juristische Beratung zur Verfügung. Als ehrenamtlicher Mitarbeiter.

In der Teestube im Untergeschoß wartet Rechtsanwalt Riekenbrauks Klientel. Micha und andere Abhängige unterhalten sich. Die 30jährige Sabine aus Wuppertal läßt sich von ihm beraten. „Ich hab' mich ganz gut gefangen. Bin clean. Ich nehm' auch kein Methadon mehr.“ Sabine hält sich schon seit einigen Jahren in Amsterdam auf und will hier neu anfangen. „Ich bewerbe mich überall. Aber was soll ich machen, ohne Papiere läuft gar nichts“, klagt sie.

Die Vergangenheit holt Sabine immer wieder ein. In Deutschland steht sie auf der Fahndungsliste. Sabine war während ihrer Bewährungszeit unerlaubt nach Spanien in Urlaub gefahren. Auch dort geriet sie gleich in Schwierigkeiten. Die Polizei warf ihr Drogenschmuggel vor. Sie floh nach Amsterdam. Das alles liegt inzwischen vier Jahre zurück. Riekenbrauk, an den sich Sabine schließlich wandte, erreichte die Einstellung des wegen Drogenschmuggels anhängigen Verfahrens. Es fehlten die Beweise. Derzeit bemüht er sich, über ein Gnadengesuch ihren Bewährungsstatus wiederherzustellen. Erst bei einer positiven Entscheidung kann Sabine sich die ersehnten Papiere besorgen. „Jetzt ist Warten angesagt“, erklärt ihr Riekenbrauk.

In der deutschen Justiz hat nach langen Jahren der repressiven Handhabung des Betäubungsmittelgesetzes ein Umdenkungsprozeß stattgefunden“, meint der Anwalt. Er konstatiert allerdings ein deutliches Nord-Süd-Gefälle: „Wenn ein Gnadengesuch in Nordrhein-Westfalen durchkommt, heißt das oft trotzdem noch, daß dies in Bayern unmöglich ist.“ Marion Leu