Ein schwarzer Freitag für die Frauen in Deutschland

■ Nach dem Spruch aus Karlsruhe überwiegt das nackte Entsetzen / Zufrieden sind die katholische Kirche und die CSU

Berlin (taz/dpa) – Als schwarzen Freitag für die Frauen und einen Schlag ins Gesicht all derer, die seit Jahren „um eine Regelung des Schwangerschaftsabbruchs kämpfen, die den Interessen von Frauen und Männern gerecht wird“, hat Pro Familia den Spruch aus Karlsruhe gestern kritisiert. Für die Europaabgeordnete der Grünen, Claudia Roth, hat sich das Bundesverfassungsgericht als Gefahr für die Demokratie entpuppt. Es habe gezeigt, daß „es nicht willens ist, die ihm durch das Grundgesetz anheimgegebene Macht verantwortlich und zurückhaltend zu nutzen“. Für den Unabhängigen Frauenverband aus Berlin, der sich vor der Wende in der DDR konstituiert hatte, ist das Urteil ein „Rückschritt sondergleichen“. In der Kritik an Karlsruhe sind sich vor allem die Frauen aus der früheren DDR einig. So bezeichnete die Vorstandssprecherin von Bündnis90/ Grüne, Marianne Birthler, die Entscheidung als „totale Unmündigkeitserklärung für Frauen“. Das Urteil sei „schlimmer als erwartet“, sagte die ostdeutsche Politikerin am Freitag im Fernsehsender n-tv. „Bis in den Ton der Begründung hinein“ sei die Entscheidung des Zweiten Senats „zynisch“, die Fristenlösung mit Beratungspflicht für verfassungswidrig zu erklären. Die brandenburgische Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) sprach von einer „Katastrophe“. Das Urteil sei „unerhört“, sagte sie unmittelbar nach Verkündung der Entscheidung im ARD-Fernsehen. „Das kann man sich nicht bieten lassen.“ Die Entscheidung des Gerichts schaffe in Deutschland ein Zweiklassenrecht bei der Abtreibung. Wer das Geld habe, könne einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, die Frauen im Osten aber nicht. Hildebrandt betonte, im Osten habe zwanzig Jahre lang eine Fristenlösung gegolten, ohne daß die Zahl der Abbrüche höher gewesen sei als im Westen. „Man wird versuchen, sich dagegen zu wehren.“

Eine Straßenumfrage unter Frauen in Ostberlin offenbarte helle Wut. „Das ist eine Schweinerei“, schimpft eine 45 Jahre alte Frau. „Wenn ich mir vorstelle, wer darüber befindet, klappt sich bei mir das Messer in der Hosentasche auf.“ Eine 24jährige, die bei einem Frauenarzt arbeitet, sieht nicht ein, daß Männer über Abtreibungsgesetze entscheiden. Sie hofft immer noch darauf, daß alle Frauen in Deutschland irgendwann einmal abtreiben können, wenn sie es für richtig halten. „Unmöglich“ finden auch zwei Rentnerinnen den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts: „Damit erreicht man doch nur, daß die, die es sich leisten können, wieder nach Holland fahren.“

SPD-Präsidiumsmitglied Heidemarie Wieczorek-Zeul sprach ebenfalls in Karlsruhe von einem „Akt der schrecklichen Bevormundung von Frauen“. Sieben Männer und eine Frau hätten über existentielle Fragen der Frauen befunden. „Ich bin sicher, das Urteil würde bei einem anderen Gericht anders ausfallen“, sagte Frau Wieczorek-Zeul. Das Urteil bedeute letztlich einen Rückfall in das Zweiklassenrecht, weil es die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen für Abtreibungen ausschließe. Wie in früheren Jahrzehnten könnten nun nur noch Frauen abtreiben, die Geld hätten und es sich leisten könnten. „Die anderen werden wieder zu Kurpfuscherinnen getrieben.“ Das einzig positive Element in dem Urteil sei der Verzicht auf Strafe bei Abtreibungen.

„Der Geist der Bevormundung prägt dieses Urteil“, kritisierte die SPD-Politikerin weiter. Man müsse nun sehr genau prüfen, welche rechtlichen Konsequenzen gezogen werden könnten, um das Schlimmste zu verhindern. Sehr wichtig sei aber auch, daß die Frauen überall in Deutschland zeigten: „So haben wir uns das nicht vorgestellt“, sagte Frau Wieczorek-Zeul. Kaum weniger empört äußerte sich die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Irmgard Schwaetzer. Sie bezeichnete das Urteil als „das Weltfremdeste, was ich seit langer Zeit gelesen habe“. Damit sei die Bundesrepublik einer der letzten zivilisierten Staaten, die Frauen, die selbst verantwortlich über ihr Leben entscheiden wollen, unter Kuratel stellten. Das Urteil müsse auch Anlaß sein, die Rolle des Bundesverfassungsgerichts in der Gesellschaft zu überprüfen. Es gehe nicht an, daß ein Gremium ein Gesetz mit einem Federstrich zunichte mache, das vom Bundestag in monatelanger Arbeit und mit dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung beschlossen wurde.

In Hamburg fand nach der Urteilsverkündung bereits eine erste Demonstration aufgebrachter Fauen statt. Pressesprecherinnen hatten freibekommen, Staatsrätinnen weinten vor laufender Kamera, als die Demonstration an der Petri-Kirche startete. Mit vor Tränen rot geränderten Augen brachte Hamburgs weibliche Polit- Prominenz ihr Entsetzen über den Karlsruher Richterspruch zum Ausdruck. Dem Aufruf von Pro Familia, Grünen und der Hamburger Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen waren aber nur knapp 150 Frauen gefolgt, überwiegend bekannte Gesichter, wie die Pro-Familia-Vorsitzende Eva Rühmkorf, die Frauensenatorin Traute Müller und die Europaabgeordnete Christa Randizio- Plath. Viele hatten morgens den Urteilsspruch im Fernsehen mitstenografiert und wurden jetzt von der Lokaljournaille bedrängt, Stellungnahmen abzugeben. Mangels Masse geriet die Veranstaltung mehr zur Open-air-Pressekonferrenz. Der Urteilsspruch, so scheint es fast, wurde von Hamburgs übriger Polit-Szene verschlafen.

„Es ist ein Skandal, das unsere Urgroßmütter, unsere Großmütter und wahrscheinlich auch noch unsere Enkelinnen gegen den 218 kämpfen müssen“, sagte Randizio- Plath. Die Stadt Hamburg sei aufgefordert, jeglichen Spielraum zu nutzen, um eine liberale Praxis zu organisieren. „Wir Sozialdemokratinnen haben uns auf den Kompromiß eingelassen, obwohl wir gegen eine Beratungspflicht sind“, sagte Frauensenatorin Müller. „Das haben wir jetzt davon.“ Viele Rednerinnen waren so wutgeladen, daß sie sich verhaspelten. Die Zuhörerinnen, allesamt Frauen, die seit Jahren gegen den Paragraphen 218 kämpfen, hatten Verständnis dafür. Soviel Ohnmacht hatten sie lange nicht mehr verspürt.