Der Nationalismus läßt grüßen

■ betr.: Grundgesetzänderung des Artikel 16

betr.: Grundgesetzänderung des Artikel 16

[...] 1933 wurde Tucholsky aus Deutschland ausgebürgert, 1935 hat er in Schweden Selbstmord begangen. Zu persönlicher Verzweiflung kamen sicher auch politische Motive. Ein besonderes Schicksal wie seines ist nicht zu vergleichen mit anderen. 800.000 mit Sicherheit ebenfalls unverwechselbare Deutsche fanden während der Nazi-Zeit in anderen Ländern Zuflucht. Tausende weitere hätten gerettet werden können, wenn die Flüchtlinge nicht an den Grenzen zurückgewiesen worden wäre. Der Parlamentarische Rat zog die Konsequenz mit dem Asylrecht.

Mit dem heutigen Tag (26.5.93) wird das Asylsrecht bis zur Unkenntlichkeit eingeschränkt. Das kann die Zuwanderung nicht stoppen, es sei denn, man baut die Mauer wieder auf, was exakt der westdeutschen Mentalität entspricht.

[...] Hoffentlich muß ich nicht schon bald Nachrufe auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung, auf die Pressefreiheit, auf das Versammlungsrecht, die Tarifautonomie, die Freiheit von Zwangsarbeit (Sozialhilfeempfänger), die Unverletzlichkeit der Wohnung oder die Rechtswegegarantie schreiben.

Grundrechte sollten auch dann eine Existenzberechtigung haben, wenn ihre Anwendung schwierig ist. Ansonsten wäre wir eine Schönwetterdemokratie. Wenn nach Effizienzgrundsätzen gehandelt wird, sind wir auf dem Weg zu den pünktlich ankommenden Zügen von Auschwitz oder zum chirurgischen Eingriff einer schnellen Intervention (Blitzkrieg). [...] Richard Kaiser,

Neukirchen-Vluyn

Darin ist er geübt, der deutsche Sozialdemokrat, mit dem Hut in der Hand, Arschbacken zamm', anzutreten, wenn die vaterländische Pflicht ihn ruft. Verschiedene Variationen kennt seine Pose dabei, mit knirrschend zusammengebissenen Zähnen etwa oder mit einem hintergründigen Leuchten in den Augen: der Bedeutung der historischen Stunde gewiß. Auch mit der heimlichen Hoffnung auf eine huldvolle Geste des Oberdeutschen („Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!“). Aber jedesmal kommt prompt der Fußtritt des so Ermächtigten. Auch diesmal.

Dabei hatten die Mannen um Vogel sich so eine schöne Inszenierung ausgedacht: Ja zum „Asylkompromiß“ – Nein zur „Drittstaatenklausel“, ein Nein ohne Folgen. Aber schon droht es wieder von rechts oben: Ihr seid schuld, wenn der Zustrom nicht abreißt (daß der Flüchtlingsstrom nicht abreißt, wissen alle) und zu viele Ausländer zu uns kommen (vielen ist jeder zuviel, der nur fremd aussieht)!

Und so kann sich unser aller Kanzler bereits auf die „ungewöhnlich erfolgreiche“ Jahrtausendwende vorbereiten, denn wer wird denn den dünnen sozialdemokratischen Abklatsch wollen, wenn er das kerndeutschschwergewichtige Original haben kann? [...] Michael Pietsch, Cramon

Eines hat uns die jüngste Debatte um das Asylrecht gelehrt: Wer laut genug seinen Forderungen Nachdruck verleiht, bekommt was er will. Der Vernunft wegen hätte es nur noch geholfen, in entsprechender Lautstärke in die Offensive zu gehen. Die größte hierfür in Frage kommende Bundestagspartei SPD war jedoch dumm genug, sich von den Scharfmachern über den Tisch ziehen zu lassen. Wenn sich die SPD dadurch erhofft, wegen der Asyldebatte an die rechten Parteien abgetretenen Wähler zurückzugewinnen, so wird sie bei den nächsten Wahlen eines besseren belehrt werden. Denn wer entscheidet sich schon für die Fälschung, wenn das Original viel konsequenter ist? Die an die Grünen verlorenen linken Wähler wird sie erst recht nicht mehr zurückgewinnen.

Nach der de facto-Abschaffung des Asylrechts werden in Zukunft also noch mehr Flüchtlinge als „Illegale“ bezeichnet. Die Folgen sind eindeutig: Da der Exekutive jede Mittel zur konsequenten Durchführung des neuen „Aslyrechts“ fehlen, wird es zu noch mehr Rassismus gegenüber den jetzt noch „kriminelleren“ Ausländern kommen. Auch wenn die Hetzer gegen das Asylrecht es überaus geschickt verstanden, den Grundgesetzartikel als Ursache der Fremdenfeindlichkeit zu verunglimpfen. Dabei war schon seit Jahren bekannt, daß die Anerkennungsstellen personell total unterbesetzt sind. Die Bundesregierung tat jedoch bewußt nichts gegen diesen Zustand. Statt die Fluchtursachen zu bekämpfen spielte sie das Thema Asyl hoch, um von ihrem eigenen schändlichen Versagen abzulenken.

Da hilft es wenig, wenn jetzt selbst das UN-Flüchtlingskommissariat den „Asylkompromiß“ aufs schärfste verurteilt. In Wahrheit nämlich erhielten die meisten der als „politisch Verfolgten“ abgelehnten Menschen ein letztendlich auf der Genfer Flüchtlingskonvention begründetes Bleiberecht. Dieses beruhte nicht zuletzt auf der Tatsache, daß die gesamte Wohlstandsgesellschaft Europas und Amerikas und somit auch der Deutschen, in gewaltigem Maße auf Kosten der armen Länder der Erde beruht. Die reichen Länder tragen somit größte internationale Verantwortung für die Misere der Dritten Welt.

Die Bundesregierung scheint dies jedoch nicht zu interessieren und startete eine Desinformationskampagne ohnegleichen. Sie definiert „internationale Verantwortung“ mit „out of area“-Einsätzen der Bundeswehr zur „Durchsetzung von deutschen Wirtschaftsinteressen“, wie aus einem Richtlinienpapier des Bundesverteidigungsministeriums hervorgeht. Der Nationalismus läßt grüßen. Michael Raab, Zweibrücken

Zwei Daten aus der 130jährigen Geschichte der SPD, für die man sich als Mitglied dieser Partei schämen muß: am 4. August 1914 sprach die Mehrheit der SPD- Reichstagsfraktion durch die Bewilligung der Kriegskredite und die Akzeptierung des Burgfriedens der kaiserlichen Regierung ein Vertrauensvotum aus und hörte damit auf, Oppositionspartei zu sein; am 26. Mai 1993 gab die Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion ihre Zustimmung zur faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl und verabschiedete sich damit als linke politische Kraft von der politischen Bühne der Bundesrepublik Deutschland.

Die SPD ist damals wie heute eine moralisch verschlissene Partei von der keine Werte, sondern nur noch Manöver zu erwarten sind. Sie ist – um es mit Rosa Luxemburg zu formulieren – nur noch ein Haufen organisierter Verwesung. Die rassistischen Gewalttäter und ihre Brandstifter haben unter der tätigen Mithilfe von Klose, Schröder, Scharping und anderer Biedermänner ihr Ziel erreicht: die endgültige Abschottung der Bundesrepublik vor Ein- und Zuwanderern ist vollzogen. Die Todesglocken für diese Republik läuten bereits...!

Dabei ist nicht die Revision des Grundgesetzes der eigentliche gegenwärtige Skandal. Allein weil das Elend auf dem afrikanischen Kontinent und der unzähligen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Osteuropa als „politische Verfolgung“ nicht zu fassen ist, wäre eine Verfassungsreform politisch notwendig gewesen. Zuallererst hätte jedoch das einfach-gesetzliche Beiwerk stimmen müssen. Daß die sozialdemokratische Führungsriege gerade hierzu monatelang Verhandlungen mit den Regierungsfraktionen führte, um am Ende gänzlich auf die reaktionäre Linie einzuschwenken, offenbart ihre völlige Politikunfähigkeit. So wurde im neuen Asylverfahrensgesetz der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz für abgelehnte Asylbewerber aus sogenannten „sicheren“ Drittstaaten gestrichen; ein Einwanderungsgesetz und ein gesichertes Bleiberecht für Bürgerkriegsflüchtlinge gibt es nicht, genauso wenig wie ein reformiertes Staatsangehörigkeitsgesetz; eine Anpassung des Staatsbürgerrechts an die Realitäten der Bürgerschaft in den deutschen Städten wurde anscheinend erst gar nicht diskutiert.

Für all dies trägt die SPD die politische Verantwortung, denn von ihr hat man erwarten müssen, daß sie aufgrund ihrer Geschichte die Rechte der Verfolgten und Schwachen verteidigen würde. Statt dessen hat sie für lange Zeit die Chance vertan, der CDU/CSU in diesen wichtigen Punkten ein Entgegenkommen abzutrotzen.

Da vom Grundrecht auf Asyl nun nichts mehr übrig geblieben ist, bleibt nur noch die vage Hoffnung, daß das Bundesverfassungsgericht die große Koalition der Geschichtslosigkeit korrigieren wird. Thomas Schlingmann, Mitglied

des JUSO-Landesvorstands

Bremen