Drahtiges Herrenmagazin

■ Hip mit Chip: "Wired", eine neue Zeitschrift für Cyberpunks und solche, die es werden wollen

Hereinspaziert! Komm mit in die neuen Welten von „Cyberpunk“ und „Virtueller Realität“! Schalt dich ein ins „Netz“, wo das Versenden und Lesen elektronischer Post gleichbedeutend mit dem wahren Leben ist! Denn Marshall McLuhans Jünger haben in San Francisco ein neues Magazin herausgegeben, das es wert ist, beachtet zu werden: Wired. Das Wort steht für verkabelt, vernetzt, ein Leben am Draht. Wired ist ein Glanzmagazin für und über die Kultur der Computergeneration. Es kostet fünf Dollar und war bei seinem bisher zweimaligen Erscheinen sofort ausverkauft.

Das Produkt wirkt auf den Betrachter auf den ersten Blick verspielt. In modischer Schnipseltechnik wird hier ein Kästchen herausgerückt, da ein Bildchen eingeklinkt und dort noch ein Farbtupfer druntergelegt. Trotz aller Sperenzchen vermag die Optik dennoch zu überzeugen, weil klassisch-klare Spalteneinteilungen und Schriften verwendet werden. Die Form dient dem Inhalt.

Wer soll Wired lesen? Hier kommt das „Magazin der Digitalen Generation“. Zu diesem neuen Markt gehören die Besserverdienenden der Kulturindustrie. Das sind nach Ansicht der Anzeigenacquisiteure von Wired überwiegend männliche Leser: Computer- und Softwaretechniker, Medienmenschen, Designer, Bildungsingenieure. Auf deutsche Verhältnisse übertragen, bewegt sich die Lesekundschaft zwischen Bild der Wissenschaft, Handelsblatt, Max und Männer Vogue.

Geht es nach den ehrgeizigen Plänen der Blattmacher, will Wired der Rolling Stone der Computerwelt werden. Der kulturelle Einfluß der Computertechnologie auf alle Lebensbereiche steht im Mittelpunkt – und nicht der letzte Chip-Schrei. Die Macher scheinen jedes computerisierte Spielzeug, das neu auf den Markt kommt, zu lieben. Egal ob Grafik-Software fürs Uni-Labor oder Cyberspace- Helme für den Hausgebrauch.

Solche Techno-Affirmation verstellt dennoch nicht den Blick auf dunkle Seiten der Computer- Revolution. In der ersten Ausgabe beschreibt beispielsweise Science- fiction-Autor Bruce Sterling, wie die US-Armee in Cyberspace- Camps für den nächsten Krieg trainiert. Das zweite Heft befaßt sich mit neuen Vorhaben der US-Regierung: Da faktisch heute jedermann seine Datenkommunikation so verschlüsseln kann, daß nur der Empfänger sie zu entziffern vermag, will man diese Möglichkeit demnächst gesetzlich verbieten. Ein Code soll Standard werden, den Polizeibehörden und Geheimdienste leicht knacken können.

Ein solches Gesetz hätte auch in Europa Folgen. Denn allein die Größe des US-Kommunikationsmarktes setzt weltweite Standards. Wenn die europäischen Elektronikfirmen konkurrenzfähige Stückzahlen fertigen wollen, müssen sie den Standards folgen. Mindestens die Datensicherheit wäre dann gefährdet – die Probleme für den einzelnen kennen wir alle dank Uwe Barschel und Prinz Charles.

Der Wired-Autor Steven Levy schafft es, die komplizierten technischen Details für Laien verständlich darzustellen und die politisch- sozialen Zusammenhänge so herauszuarbeiten, daß auch Technophile noch neue Aspekte kennenlernen.

Seine Berichterstattung zeichnet sich auch dadurch aus, daß die Schattenseiten einer ideologisch einseitigen Sichtweise nicht vergessen werden, die die privaten Refugien des Individuums bevorzugt: Auch Kriminelle können die leicht handhabbaren und schwer zu knackenden Codes mißbrauchen. Wired unterscheidet sich wohltuend von einer seit rund drei Jahren existierenden Publikation: Mondo 2000. Die von – selbsternannten – Hippies der neunziger Jahre hergestellte schrille Hochglanz-Postille, die den Themenbogen oft überspannt. Er reicht von der neuesten Hardware für Hacker bis zu Zeitreisen als Problem einer esoterisch angehauchten Physik.

Dennoch treffen auf dem Markt der heute Dreißig- bis Vierzigjährigen beide Magazine zusammen. Sie wählten sich Galionsfiguren der altgewordenen Woodstock- Generation als Leitbilder. Der Mondo-Mann ist Drogenpapst Timothy Leary, „Schutzpatron“ von Wired der Medienguru Marshall McLuhan. Holger Iburg

„Wired“ ist zur Zeit in Deutschland noch nicht erhältlich, Bezugsadresse in den USA: Post: 544 Second Street, San Francisco, CA 94107-1427, Tel.: 001-415-904-0660, Fax: 001-415-904-0669.