Geladene Atmosphäre

Elektromagnetische Felder verunsichern Bürger und Wissenschaftler / Ein aufgeschreckter Bundestagsausschuß organisierte eine öffentliche Anhörung

Warnungen vor „Elektrosmog“ beunruhigen mittlerweile nicht nur die Öffentlichkeit, nervös wird jetzt auch die Versicherungsbranche, die horrende Schadenersatzforderungen auf sich zukommen sieht. In den USA haben Benutzer von Mobiltelefonen jetzt erstmals eine Klage eingereicht, weil sie befürchten, daß die elektromagnetischen Wellen dieser Geräte Gehirntumore auslösen können. Fünf der führenden Hersteller von Funktelefonen mußten vor Gericht erscheinen. Der Ausgang des Prozesses könnte eine „Lawine“ mit weitreichenden Folgen für Versicherungsunternehmen und vor allem auch für die Elektrobranche ins Rollen bringen.

Auch in der Bundesrepublik sind erste Gerichtsurteile in Sachen Elektrosmog gefällt worden. So hat im März ein hessisches Gericht einen Baustopp für eine Funkstation verhängt, da sich gesundheitliche Beeinträchtigungen „nicht ausschließen“ lassen.

Nach den Worten von Bundespostminister Wolfgang Bötsch (CSU) sollte die Diskussion über mögliche schädliche Wirkungen elektromagnetischer Wellen ernst genommen werden. Die Debatte darüber stehe erst am Anfang, und sie könne noch die „Diskussion über die Kernenergie als ein laues Lüftchen“ erscheinen lassen, warnte Bötsch. Betroffene BürgerInnen, die sich zu einem „Selbsthilfeverein für Elektrosensible“ zusammengetan haben, machen elektromagnetische Felder für Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit, Erschöpfungszustände, Migräne, Augenerkrankungen und Spätwirkungen wie Erbveränderungen und Krebs verantwortlich.

Daß politischer Handlungsbedarf besteht, erkannte inzwischen auch der Bundestagsausschuß für Post und Telekommunikation. Er hatte für den 24. Mai zu einer Expertenanhörung eingeladen. Die Bundespost, Wissenschaftler im Dienste der Hersteller, beunruhigte Bürger und kritische Wissenschaftler lieferten sich dort harte Wortwechsel. Insbesondere Dr. Andras Varga, ein temperamentvoller Bioklimatologe, war heftigen Angriffen ausgesetzt. Varga hatte an Experimenten mit Hühnereiern nachgewiesen, daß hochfrequente Strahlen die Hühnerembryonen schon bei Intensitäten töten, die weit unter den geltenden Grenzwerten liegen. Weniger umstritten scheinen die Ergebnisse des Kieler Wissenschaftlers Leberecht von Klitzing zu sein, der konstatierte, daß elektromagnetische Felder bleibende Effekte im EEG (Elektroenzephalogramm) von Menschen hinterlassen.

Zumindest die Kategorisierung elektromagnetischer Felder ist unstrittig. Elektromagnetische Wellen, die von Funkwellen bis zu Gammastrahlen ein breites Spektrum umfassen, lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: „ionisierende“ und „nicht-ionisierende“ Strahlung. Ionisierende Strahlen entstehen beim Zerfall von instabilen Atomkernen. Sie sind kurzwellig (1015–1020 Hertz; 1 Hertz entspricht 1 Schwingung pro Sekunde) und sehr energiereich, können Materie durchdringen und durch Abspaltung von Elektronen einzelne Atome oder Moleküle in einen elektrisch geladenen Zustand bringen. In lebendem Gewebe können sie zu Zerstörungen der Zellen führen.

Nicht-ionisierende Strahlen sind dagegen vergleichsweise langwellig (1–1015 Hertz). Die zur Diskussion stehenden Mobiltelefone und Funkstationen erzeugen Felder um 1 Gigahertz (1010), das Stromnetz liegt im extrem niedrigen Frequenzbereich von 50 Hertz. Die Energie nicht-ionisierender Strahlen reicht nicht aus, Atome oder Moleküle zu ionisieren. Deshalb könnten sie, so die Ansicht der Experten, auch nicht direkt schädigend auf biologisches Material einwirken.

Allgemein anerkannt sind bisher nur die thermischen Effekte, auf die auch die in der Bundesrepublik geltenden Grenzwerte beruhen. Bei ausreichender Intensität können die nicht-ionisierenden Felder Gewebe erwärmen. Erreichen die magnetischen Felder eine sehr hohe Intensität, können sogar ernsthafte Schäden wie Hitzschlag oder Verbrennungen eintreten. Dieser Effekt wird zum Beispiel bei Mikrowellenherden ausgenutzt. Bei den auch als Handys bezeichneten drahtlosen Telefonen ist dagegen der Erwärmungseffekt – der jedoch sehr gering ist – eine unerwünschte Begleiterscheinung. Bei den leistungsstärkeren Mobiltelefonen soll daher, so die Empfehlung der Hersteller, ein Mindestabstand von etwa fünf Zentimeter ausreichend sein, um diesen Effekt zu unterbinden.

Unklarheiten bestehen nach Ansicht einiger Experten bei der Bewertung von Einwirkungen der Magnetfelder auf biologische Prozesse. Hinweise sprächen dafür, daß „möglicherweise in die interzelluläre Kommunikation eingegriffen wird“ und es dadurch zu Tumorbildung kommen kann. Von Klitzing fordert daher auch, daß zur Vorsorge neue Sicherheitsrichtlinien entwickelt werden müßten, die nicht nur die thermischen Effekte berücksichtigen.

So liegen in mehreren osteuropäischen Ländern die Grenzwerte für elektromagnetische Felder um einige Zehnerpotenzen niedriger als in westlichen Ländern, da diese unter Berücksichtigung der sogenannten athermischen Effekte festgelegt wurden. Die Veränderung des EEG oder die ebenfalls nachgewiesene Einwirkung auf Nervenzellen sind Beispiele solcher Effekte.

Ob der Bundestagsausschuß Konsequenzen aus der Anhörung ziehen wird, scheint fraglich zu sein, da die wenigen vorliegenden Ergebnisse, die für eine gesundheitsschädigende Wirkung der Magnetfelder sprechen, unter den Experten sehr umstritten sind. Einigkeit bestand bei fast allen Teilnehmern eigentlich nur bei der Feststellung, daß ein – geldbringender – Forschungsbedarf bestehe. Das fand selbst Unterstützung bei den Experten, die von der Ungefährlichkeit der elektromagnetischen Felder überzeugt sind. Harald Rong