Neuwahl in Polen: tückische Dialektik

■ Suchocka bleibt einstweilen im Amt

Warschau (taz/AP) – Der polnische Staatspräsident Lech Walesa will die chronische Regierungskrise mit einer Parlamentsneuwahl in drei bis vier Monaten beilegen. Am Samstag löste er das Parlament auf, das am Vortag mit einer Stimme Mehrheit einen Mißtrauensantrag gegen Ministerpräsidentin Hanna Suchocka angenommen hatte. Walesa forderte Suchocka auf, die Regierungsgeschäfte dennoch bis zur Neuwahl kommissarisch weiterzuführen; Suchocka, seit knapp einem Jahr im Amt, stimmte zu.

Die Parlamentsauflösung wird nach der Veröffentlichung von Walesas Anordnung im Staatsanzeiger rechtswirksam. Im Sejm sind 29 Parteien vertreten, ein stabiles Regierungsbündnis ist seit der Wahl im August 1992 nicht zustande gekommen; eine Mehrheit hatte keine der seit 1989 gebildeten fünf postkommunistischen Regierungen.

Diese Zersplitterung hat das Parlament noch am Freitag mit einer Wahlrechtsreform zu beenden versucht, mit der die Fünfprozentklausel eingeführt wird. Der Mißtrauensantrag gegen Frau Suchocka war von der Gewerkschaft Solidarnosc eingebracht worden, die ehemals von Walesa geführt wurde. Im Ausland wird ihre Wirtschaftspolitik allgemein anerkannt, im Inland formierte sich infolge deren Härten für weite Teile der Bevölkerung eine stetig Zulauf erhaltende Protestbewegung.

Die Dialektik jedoch ist tückisch: Am Freitag morgen verlor die Regierung die Vertrauensabstimmung mit nur einer Stimme. Zu dieser Zeit galt noch das alte Wahlrecht. Doch schon am nächsten Tag verabschiedete der Sejm in letzter Lesung das neue Wahlrecht – kurz bevor Präsident Walesa das Parlament auflöste. Nun gilt das neue Recht, und viele der kleineren und mittleren Parteien werden sich nun fragen, ob sie sich mit dem Sturz der Regierung nicht ins eigene Fleisch genschnitten haben. Legt man die Ergebnisse der letzten Parlamentswahlen zugrunde, so entstehen erhebliche Zweifel, ob insbesondere jene rechten Oppositionsparteien, die in der letzten Zeit so eifrig am Stuhl der Regierung gesägt haben, wieder ins Parlament zurückkehren.