Markenzeichen Solingen

■ Türkische Reaktionen: Neonazis "die fünfte Kolonne" Bonns

„Schau Sie dir an, die Hüter der Menschenrechte, die Verfechter der Demokratie! ,Menschenrechte‘, ,Demokratie‘: Sie verbrennen türkische Frauen und Kinder bei lebendigem Leibe.“ Der Kaffehausbesitzer in einem Istanbuler Vorort, der nach den Fernsehnachrichten diese Worte in die Runde wirft, erntet spontan die Zustimmung der Gäste. „Die Morde der Skinheads kommen den Deutschen doch nur gelegen. Sie hassen die Türken und wollen uns aus Deutschland vertreiben“, bemerkt ein Mann, der einige Jahre in Deutschland gearbeitet hat.

Das Markenzeichen Solingen, das selbst in der anatolischen Provinz wegen rostfreier Bestecke einen Ruf genieße, ist „nunmehr der Name der Stadt, wo türkische Familien verbrannt werden“. So formuliert es ein Kolumnist in der linksliberalen Cumhuriyet.

Die Wut und die Empörung in der Bevölkerung wird von den türkischen Medien aufgegriffen. Die beiden auflagenstärksten, türkischen Tageszeitungen Hürriyet und Sabah, die in erbitterter Konkurrenz stehen, erschienen einen Tag nach Solingen mit der gleichen Überschrift: „Die Bastarde Hitlers“. Ein bluttriefendes Hakenkreuz war in der Sabah unter die Schlagzeile montiert. „Wird das deutsche Volk zum dritten Mal in diesem Jahrhundert die Welt in Feuer und Blut baden?“ fragt Cumhuriyet, die daran erinnert, daß im Laufe von zwei Jahren Tausende rassistische Gewalttaten verübt wurden. „Deutschland macht Angst“ titelt ein Kolumnist in der Milliyet seinen Aufsatz.

Das Deutschlandbild in der Türkei ist dieser Tage so negativ wie nie zuvor. All die Hoffnungen, die in der türkischen Öffentlichkeit nach dem jüngsten Besuch des Bundeskanzlers aufkamen und eine Entspannung in den deutsch- türkischen Beziehungen ankündigten, sind zunichte gemacht. „Kohl hat uns über die Wangen gestreichelt und uns Honig um den Bart geschmiert“, spottet der Chefkolumnist von Hürriyet und Vorsitzende des türkischen Presserates Oktay Eksi. – Auch die türkischen Politiker, die beim jüngsten Besuch des Bundeskanzlers Reden über die „traditionelle deutsch-türkische Freundschaft“ schwangen, sind Angriffsziele der Medien. Aber trotz des öffentlichen Aufruhrs in der Türkei reagierten die türkischen Politiker recht moderat. Der amtierende Ministerpräsident Erdal Inönü erinnerte daran, daß Bundeskanzler Kohl ihm zugesichert habe, Maßnahmen zum Schutz der in Deutschland lebenden Türken zu ergreifen. Er halte Kohl für glaubwürdig, auch wenn die Schutzmaßnahmen offenbar unzureichend seien. Und: Die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft für die in Deutschland lebenden Türken sei ein „erster, wichtiger Schritt“. Kohl habe ihm bei seinem Türkei-Besuch zugesagt, die Möglichkeiten hierfür zu prüfen. Inönü will es nicht dabei bewenden lassen. Er kündigte an, daß die türkischen Minister und Abgeordneten, die zur Beisetzung der Opfer reisen werden, Kontakt mit der deutschen Regierung aufnehmen werden, um in der Frage der doppelten Staatsangehörigkeit voranzukommen. Nach den Straßenrandalen in Solingen in Reaktion auf die Morde forderte Inönü zur „Gewaltfreiheit“ auf: Gewalt dürfe nicht mit Gewalt beantwortet werden. Auch der türkische Botschafter in Bonn, der „Verständnis für den Asylkompromiß im Bundestag“ zeigt, rief zur „Besonnenheit“ auf.

Doch Opposition und Presse fordern von der türkischen Regierung eine härtere Gangart. Schließlich seien nicht nur ein paar verirrte Neonazis, sondern auch die deutschen Politiker verantwortlich. Die Reden über die „Asylantenschwemme“ und die Konzessionen, die das deutsche Parlament mit der Grundgesetzänderung des Asylrechtes an die Rechte gemacht hat, habe die rechten Gewalttäter ermuntert. Der türkische Ex-Premier Bülent Ecevit sprach davon, daß „deutsche Politiker Benzin auf den Rassismus gegossen und den Völkermördern das Ziel gewiesen“ haben. In den Zeitungen ist zu lesen, daß die Skinheads nur die „fünfte Kolonne darstellen, die die Drecksarbeit für etablierte, ausländerfeindliche Politiker“ erledige. „Der doppelzüngige Deutsche“ lautet die gestrige Schlagzeile der Sabah, die berichtet, daß nach jedem Anschlag die deutschen Politiker über „Betroffenheit und Trauer“ reden. Doch Polizei und Justiz drückten bei rechten Gewalttätern ein Auge zu. „Wir möchten nicht Worte hören, sondern Taten sehen“, schreibt Chefkolumnist Güngör Mengi: „Die Regierung geht nicht gegen Neonazis vor. Der letzte Asylbeschluß ist eine Konzession an die Rassisten. Die Rassisten werden ermuntert, noch mehr zu fordern.“ Hürriyet appelliert an seine Leser, Briefe an Generalbundesanwalt Alexander von Stahl zu schicken. Nicht wegen Totschlag oder Brandstiftung, sondern wegen Völkermord müßten die Täter vor Gericht gestellt werden.

Allein die islamischen Fundamentalisten, die es auch für Deutschlands Recht halten, das Asylrecht zu verändern, um den „Zustrom aus ökonomischen Gründen zu begrenzen“ hielten sich mit Kritik zurück. Das fundamentalistische Blatt Zaman wartet mit einer Verschwörungstheorie auf. Die deutsch-türkische Annäherung beim jüngsten Kohl-Besuch, wo sich beide Staaten auf gemeinsame Projekte zur Gewinnung von Märkten in den islamischen Staaten Zentralasiens geeinigt haben, hätte Amerikaner, Briten und Franzosen beunruhigt. Sie trachteten danach, die guten deutsch-türkischen Beziehungen zu zerstören. Ausländische Geheimdienste, die in Deutschland ihr Unwesen trieben, würden „ein paar Jugendliche verführen“.

Es sei logisch, die Mörder von Solingen in den USA, in England, Frankreich und Israel zu suchen schreibt Zaman. Das Wahn-Konstrukt der islamischen Fundamentalisten bleibt die einzige Ehrenrettung Deutschlands, die sich in der türkischen Presse findet. Ömer Erzeren, Istanbul