Nach Solingen ist mehr als Symbolik gefordert

■ Politiker ziehen unterschiedliche ausländerpolitische Konsequenzen aus dem Anschlag in Solingen / Senat schweigt

Als der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen vor zwei Wochen beim Bürgermeister von Istanbul, Nurettin Sözem, zu Besuch weilte, zeigte er sich froh darüber, daß Berlin auch eine türkische Stadt sei. Der deutsche Rechtsstaat, so versicherte Diepgen seinem türkischen Amtskollegen, kämpfe gegen ausländerfeindliche Gewalt und werde sie überwinden. Mittlerweile wurde er eines Schlechteren belehrt, doch zu den Ereignissen in Solingen war vom Bürgermeister der größten türkischen Stadt außerhalb der Türkei keine Stellungnahme zu erhalten. Er fuhr gestern zu einem zweitägigen Besuch nach Warschau, ohne zuvor ein Wort zu dem zu verlieren, was die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) eine Barbarei nannte.

Es blieb dem stellvertretenden Senatssprecher Eduard Heußen vorbehalten, gestern das Entsetzen des Senats über das Verbrechen in Solingen zu bekunden und zu versichern, daß Berlin alles dazu tun werde, „daß Fremdenfeindlichkeit in der Stadt keinen Boden gewinnt“.

Anlaß zu aktueller Sorge sehen die Sicherheitsorgane nicht. Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) versicherte gestern, daß bei türkischen Einrichtungen in der Stadt ein ausgesprochen hoher Sicherheitsstandard gefahren werde. Die türkische Bevölkerung, so Heckelmann, sei integriert, eine Einschätzung, die von John wie auch vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Klaus Landowsky geteilt wurde. Dieser wandte sich dagegen, die Morde von Solingen mit der Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft zu verbinden. In dieser Frage habe sich seine Haltung nicht geändert. Eine Bundesratsinitiative Berlins war im März an Differenzen zwischen SPD und CDU gescheitert.

Während Kultursenator Ulrich Roloff-Momin (SPD-nah) als Reaktion auf Solingen forderte, daß in Deutschland geborene Türken einen deutschen Ausweis bekommen sollen, ist für John diese rechtliche Gleichstellung zwar seit Jahren wesentlich, doch halte dies keinen rechtsradikalen Täter auf. Deshalb fordert sie vorrangig sicherzustellen, daß rechtsradikale Potentiale in der Stadt nicht aktiv werden. Im Gegensatz zur Zuversicht Heckelmanns machte sie da noch „Spielräume im polizeilichen Handeln“ aus. John fordert zudem, zu neuen gesetzlichen Normen zu kommen. So würden „Haß- und Vorurteilsverbrechen aus so niedrigen Beweggründen begangen, daß wir sie mit Höchststrafen bedenken“ sollten. Sowohl Heckelmann als auch Landowsky sprachen sich gegen Strafrechtsverschärfungen aus.

Der Bund der EinwanderInnen aus der Türkei forderte gestern, am Tag der Überführung der Opfer in die Türkei in der Stadt eine Trauerbeflaggung anzuordnen. Heußen erklärte dazu, daß sich Berlin an allem beteiligen werde, was bundesweit geschehe. Nach Johns Ansicht sei jedoch, „wo Barbarei so große Opfer verlangt, mehr gefordert als Symbolik“. dr

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