Am Spießerspieß

■ Lustig: "Das Tier" von Gert Steinheimer, ARD, 20.15 Uhr

Als ich eines vormittags vor ein paar Jahren zur Post schlenderte, bemerkte ich vor dem Eingang ein Drehteam bei der Arbeit. Diese Filmfuzzis, dachte ich noch. Ein Jahr darauf sah ich diese Szene erneut, diesmal auf der Mattscheibe. TV-Regisseur Gert Steinheimer hatte eine kleine Sequenz aus „Killer“ (ZDF, 1991) praktisch vor meiner Haustüre gedreht!

Aber das tut nichts zur Sache. Bereits mit seinem Debutwerk „Zweikampf“ (SWF, 1986) hatte Gert Steinheimer gezeigt, wie man mit dem Medium Fernsehen ästhetisch eigenständige Filme machen kann, die nicht nach Möchtegern- Kino aussehen. Roger-Corman- Blut fließt in seinen Adern. Steinheimers „Killer“ ist eine schwarze Komödie über Hausfrauen, die sich mit Auftragsmorden ein Zubrot verdienen: „Beim dritten Mal ist es wie Geschirrspülen“.

Der begnadete Regisseur erzählt stets dem notorisch geringen TV-Budget angemessene Geschichten. „Gaukler“ (SWF, 1987) ist eine zwischen Theater- und Mafiamilieu angesiedelte Groteske um die Nöte arbeitsloser Schauspieler sowie um Särge, Leichen, Zombies, Schminke und einen Mutterkomplex.

Für die sechsteilige SWF-Serie „Atlantis darf nicht untergehen“ erhielt er den Grimme-Preis. Mit „Liebe, Tod und Eisenbahn“ (ZDF, 1989) erreichte Steinheimers Talent, Geschichten schwarzhumorig und pointensprühend zu erzählen, den ersten Höhepunkt: Die Modelleisenbahn-Leidenschaft ihres Mannes treibt eine Frau in den Wahn. Als sie den Märklin-Schaffner mit einem elektrischen Klappstuhl tötet, schwenkt die Kamera auf in der Pfanne schmurgelnde Zwiebeln. Nachdem sie die Leiche ihres Mannes in die Modellanlage eingegipst hat, flieht sie mit der Eisenbahn. Um am Ende inmitten des Modells ihres Mannes anzulangen...

In diesem Geiste beginnt auch Steinheimers neuester Geniestreich „Das Tier“: Wie eine fette Gans, die darauf wartet, geschlachtet zu werden, liegt der Frieden über dem Ziergartenidyll. Die Anwohner genießen sichtlich ihr Wohlbefinden. Die Geschwister Rupprecht, die Familie Fehling sowie deren Kinder tanken Nachmittagssonne. Auf einem Ast döst die Katze.

Langsam schiebt sich seitlich durch den geöffneten Fensterladen der Lauf eines Luftgewehrs ins Bild und nimmt das Tier ins Visier. Ein Schuß zerreißt die Stille, die Katze fällt vom Baum, die Mutter bringt ihre Kinder in Sicherheit, und am routinemäßigen Ablauf dieser Hektik bemerkt der Zuschauer, daß dieser „Luftangriff“ keineswegs zum erstenmal stattgefunden hat...

„Das Tier“ ist ein Film über das Tier im Menschen, und dieses Tier heißt Paul Ratzeburger, kongenial verkörpert von Adolf Laimböck. Der Eigenbrödler wohnt im Obergeschoß eines Dreifamilienhauses, hat über sich in der Dachwohnung ein stilles, älteres Ehepaar, und unter sich die Familie Fehling mit ihren zwei lärmenden Kindern. Ratzeburger ist ein bissiger, knurriger alter Mann, der alleine lebt und keine Nähe duldet. Was ihn anwidert, ist die schwatzhafte Freundlichkeit seiner Nachbarn, die sich in närrischer Tierliebe ausdrückt. Ratzeburger haßt Getue und Getier. Immer wieder verschwinden Vierbeiner spurlos. Ist die Katze tot, freut sich der Nachbar. Mutter Fehling befürchtet, daß künftig auch ihre Kinder verschwinden.

Während ringsum die Vorzeichen auf Bürgerkrieg stehen, widerfährt Ratzeburger ein innerer Wandel. Ein zugelaufener Straßenkater läßt sich selbst durch den Einsatz rabiatester Mittel (Bratenspieß, Hackmesser, Luftgewehr) nicht vertreiben. Widerwillig kauft der Katzenhasser Katzenstreu. Daß das Vieh die Angewohnheit hat, in Ratzeburgers Bett zu nächtigen, geht dann doch zu weit. Als Ratzeburger das anhängliche Tier ins Nachbarzimmer sperrt, öffnet es durch gezielten Sprung auf die Klinke die Tür. Und nicht nur das.

Die verblüffenden Katzen-Aktionen wurden nicht mit Spezialeffekten und doppeltem Boden getrickst. Sir Peter — so der bürgerliche Name des tierischen Hauptdarstellers – wurde von der britischen Dressurspezialistin Nicki Barrass trainiert, die in England alle Katzenfutter-Spots gemacht hat. „Katzen haben am Filmen Spaß, weil sie die Aufmerksamkeit lieben, die ihnen in den Studios zuteil wird. Ihr Wohlbefinden ist wichtig. Keine Katze arbeitet, wenn sie sich nicht wohl fühlt“, sagt Gert Steinheimer, der selbst eine Katze hatte, die des Türenöffnens kundig war.

Ratzeburger erliegt dem Charme des blaublütigen Krallentiers völlig. Als der Kater erkrankt, bahnt sich eine Katastrophe an. Allein die einschlägig vorbelasteten Nachbarn ahnen nichts von diesem Beginn einer wunderbaren Freundschaft und deuten nächtliches Miauen als Ratzeburgers neuste Tierversuche...

Anfangs- und Schlußszene schließen sich in Steinheimers Filmen stets in eindrucksvoller Weise zu einem hermetischen Gesamtbild, auch in „Das Tier“. Mit dem letzten Bild setzt Gert Steinheimer noch einmal eine unvergeßliche Pointe, weist seinen Film spielerisch als heitere Version von Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ aus... Manfred Riepe