Dreieinhalb Stunden Dienstag

Skywalker, Enterpriser, Synthie-Fous und anderes dekoratives Fluggerät im Zeittunnel: Karheinz Stockhausens „DIENSTAG aus LICHT“ in Leipzig.  ■ Von Irene Tüngler

Uwe Wand ist offen für das Kosmische. Zumindest gibt es keinen Grund zu der Annahme, daß er dies nicht sei. Karlheinz Stockhausen nämlich sieht es den Menschen an, ob sie interplanetar eingestellt sind, und mit solchen, die es nicht sind, kann er nicht zusammenarbeiten.

Wand, von Beruf Regisseur, war zugelassen im Team der szenischen Erst-Realisatoren von „DIENSTAG aus LICHT“ am Leipziger Opernhaus. Über seinen Anteil am Werk befragt, das unter der Ankündigung „Musik, Libretto, Aktion und Gesten von Karlheinz Stockhausen“ ausgepreist war, sagte er, daß es einen solchen durchaus gegeben habe. Man habe unter einer sehr dominanten und schöpferischen Persönlichkeit gearbeitet und jene Persönlichkeit, eben gerade weil sie eine so eminent schöpferische sei, wäre für Vorschläge durchaus offen gewesen. Im übrigen gehe es ja gar nicht um Menschen, sondern um allumfassende Ideen. Jegliche individuelle Auseinandersetzung, jede Psychologie, kurzum das, was Theaterfiguren faszinierend mache, sei nicht gefragt gewesen. Wand trug es mit lächelnder Fassung.

Johannes Conen durfte in dem szenischen Klangspiel etwas mehr. Er zog Eva, Luzifer und Michael, die Trompeten- und Posaunentruppen der ersten bis dritten Invasion, Synthi-Fou und die Jahresläufer inklusive aller ihrer Versucher an, respektive aus und bastelte die dekorativen Versatzstücke und Flugelelemente auf der Bühne und im Zuschauerraum. Es wimmelte von irdischen Zeitzeichen im unbegrenzten musikalischen Raum. Conen spielte mit Skywalkern und Enterprisern so gut wie mit popartigen Comic-Figuren, mit Götz Friedrichs Berliner Raum-Zeit-Tunnel aus dem „Ring“ und Game-Show-Arrangements, mit der klassischen Pietà- Ikonographie und dem Reigen seliger Geister neben Harry Kupfers Bayreuther Bild von Siegfrieds Tod.

Überhaupt Wagner. Der das LICHT bis ins nächste Jahrtausend planende rheinische Meister Stockhausen sieht keine Verwandtschaft zwischen sich und dem sächsischen Maximalisten des vergangenen Jahrhunderts. Wagner hätte lediglich einige Opern in einen thematischen Zusammenhang gestellt, für sein Werk hingegen seien die mikro- und makrophysikalischen Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften unumgänglich.

Für den Nicht-Stockhausenianer allerdings war die mentale Reinkarnation evident. Die schwer verdauliche Selbstverliebtheit des Künstlers, verquickt mit der messianischen Attitüde des Erfinders einer privaten Religion zeitigten in Kürten dieselben Folgen wie in Bayreuth: Überlänge. Auf vierundzwanzig Stunden sind die sieben lichten Wochentage konzipiert, dreieinhalb Stunden war DIENSTAG. Die zuschauende Hälfte der nach Leipzig gepilgerten Stockhausenianer amüsierte sich trotzdem heftig, während die andere mitspielte.

Was begab sich nun, im wesentlichen auf der Bühne, aber auch auf dem Rang, in den Logen und auf Laufstegen im Parkett? Neun Trompeter, neun Posaunisten und der Chor entboten zunächst einen hymnischen Gruß von oben. Sie deuteten eine blechmächtige Kontrovese zwischen Michael, dem blausilbernen Herrn der Trompeter und dem rot-lila Luzifer, Gebieter der Posaunen, an – und wurden von einer grandiosen schwarzen Eva, Annette Meriweather, zum Frieden in Gott aufgerufen. Sodann, im „Jahreslauf“, rannten, liefen, gingen, schritten vier polnische Pantomimen in einer schräggestellten Scheibe mit der eingeschnittenen Jahreszahl 1993 1993mal hin und her und wurden dabei von allerlei luziferischen Versuchungen bedrängt, stillzustehen. Die lustigste Störung im Wettlauf war ein Affe auf dem Motorrad, die schärfste eine nackte Frau – oder umgekehrt. Dann war die Zeit endgültig reif für die oktophone „Invasion“ unter der Klangregie Karlheinz Stockhausens und den Kampf der Posaunisten gegen die Trompetisten. Trainierte junge Männer bliesen zum kampfsportlichen Duell auf Ventil und Stürze; die Posaunen von Jericho können sicher nicht beeindruckender gewesen sein.

Nach dreimaligem Durchlauf des Duells durfte Markus Stockhausen noch ein exzellentes Solo (gute halbe Stunde) blasen, bis Synthi-Fou alias Simon Stockhausen mit einem keyboardgetriebenen Autoscooter die zuschauende Menschheit in die Nähe des absoluten Glücks fuhr. Als er plötzlich seine überdimensionalen Lauscherohren in endgültiger Verweigerung von seiner Maske riß, näherte sich alles dem Ende.

Nur noch die Jenseitigen winkten still. Sie verabschiedeten Szenen und Musik der breitgetretenen grandiosen Momente. Im Umflutetwerden von sphärischen Raumklängen beispielsweise, oder im freejazzigen Flügelhorn-Solo, wurde die schulebildende Rolle des Komponisten plötzlich evident. Amüsante Kammermusik immerhin begleitete den „Jahreslauf“ und trotzige Restbestände avantgardistischer Gewalttaten die Blechkämpfe.

Nach DONNERSTAG, SAMSTAG und MONTAG, allesamt in Mailand uraufgeführt, hat sich der vierte Tag von Stockhausens musikalischer Welterschaffung, DIENSTAG, der Tag des Konflikts, endlich geneigt, FREITAG ist für Leipzig 1995 angekündigt. Das Unbehagen über narzißtische Weltbeglückung und die honorare Familienversorgung niederkämpfend, gebe ich jenem Zuschauer recht, der einen anderen im Pausenfoyer lauthals beschimpfte: So etwas wie dieses Stück müsse sein. Die Welt geht unter, und die Oper als Kapelle auf der Titanic spielt immer wieder Carmen.

Musikalische Leitung und Klangregie: Karlheinz Stockhausen; szenische Realisation: Uwe Wand, Henryk Tomaszewski, Johannes Conen. Nächste Aufführungen in Mailand, 1995 in Leipzig