Ungarns Regierungspartei vor der Spaltung

■ Im Mittelpunkt der Krise: Istvàn Csurka, Antisemit und Nationalist

Budapest (taz) – Ökonomisch gesehen hat Ungarn seine Vorreiterrolle unter den ehemals kommunistischen Ländern eingebüßt. Unbestrittene „Marktführerin“ der ökonomischen Umgestaltung ist die Tschechische Republik, und das ex-jugoslawische Slowenien scheint Ungarn in absehbarer Zeit überrunden zu können. Nun aber droht den Magyaren sogar die vielgelobte politische Stabilität zu zerbrechen.

Nicht irgendeine, sondern die wohl schwerste politische Krise seit den freien Wahlen im März 1990 hat der Dramenschreiber-Politiker Istvàn Csurka diesmal in der größten Regierungspartei, dem Ungarischen Demokratischen Forum (MDF), ausgelöst. Der seit nunmehr fast einem Jahr tobende Flügelkrieg zwischen seinen nationalistischen Anhängern und dem Rest des MDF droht Ungarn eine Minderheitsregierung und vorgezogene Neuwahlen zu bescheren.

Csurka, ein ausgewiesener Antisemit und Nationalsozialist, macht dem MDF mit seinen Forderungen nach Grenzrevisionen und einem Groß-Ungarn schon lange zu schaffen. Das nicht zuletzt deshalb, weil das internationale Ansehen Ungarns erheblich gelitten hat, seit seine extrem nationalistischen Manifeste erscheinen. Die Hoffnung von MDF-Politikern, ihn disziplinieren zu können, ist zwar längst der gegenteiligen Erkenntnis gewichen. Dennoch wurde sein Ausschluß aus der Partei immer wieder vertagt. Csurkas Einfluß an der MDF-Basis, lautete das Kalkül, sei so groß, daß ein solches Unterfangen die Chancen der Partei auf einen Wahlsieg im nächsten Frühjahr zunichte machen könnte.

Pate für die jetzige Krise stand die Parlamentsabstimmung um die Ratifizierung des ungarisch-ukrainischen Grundlagenvertrages, dessen im MDF umstrittenster Punkt die Unverletzlichkeit der Grenzen festschreibt. In einer zweideutigen Rede vor der Abstimmung am 11.Mai hatte Regierungschef Jòzsef Antall diesen Punkt verteidigt, gleichzeitig aber davon gesprochen, daß er kein Präzedenzfall für Verträge mit anderen Nachbarländern sei. Doch selbst diese Äußerung, die offen im Gegensatz zur immer wieder bekundeten Absicht der ungarischen Regierung steht, die derzeitigen Grenzen nicht revidieren zu wollen, hatte einen Teil der MDF-Fraktion nicht zufriedenstellen können. Der Vertrag wurde zwar mit überwältigender Mehrheit angenommen, 25 der 118 anwesenden MDFler stimmten jedoch dagegen, zumeist Csurka- Anhänger.

Seit der skandalösen Abstimmung fordert ein Teil der Regierungsmitglieder nun in ungewohnt scharfen Tönen den Ausschluß von Csurka und seiner Bewegung „Ungarischer Weg“ aus dem MDF. Csurka selbst schien zunächst bereit, das MDF samt seinen Anhängern im Parlament zu verlassen, kündigte dann aber an, „nicht freiwillig“ gehen zu wollen. In der MDF-Parlamentsfraktion hat sich die aus Csurka-Anhängern bestehende „Ungarische Gerechtigkeit – Nationalpolitische Gruppe“ gegründet und droht damit, Antalls Kabinett die parlamentarische Mehrheit abspenstig zu machen. Der Regierungschef wiederum hat für diesen Fall seinen Rücktritt in Aussicht gestellt.

Nicht nur das erschwert den formalen Vollzug des ohnehin manifesten Bruches. Eine Reihe einflußreicher MDF-Autoritäten wie Verteidigungsminister Lajos Für, die zwar keine Csurka-Anhänger sind, aber sich mit ihm verbunden fühlen, wollen die Spaltung um jeden Preis vermeiden. Charakteristisch ist dabei die Art, wie sie die Dauerkrise des MDF zur „nationalen Tragödie“ hochstilisieren.

Solche Sätze sind freilich mehr als bloße Attitüde. Bei MDF-Politiker wie Für stehen Europäisierung und Modernisierung Ungarns erst an zweiter Stelle. Die Zukunft sehen sie vor allem in der Vergangenheit, womit zwar nicht die Schaffung eines Groß-Ungarn gemeint ist, aber immerhin die Wiederbelebung des streng national- christlich-patriarchalen Geistes der Horthy-Zeit.

Erschwerend kommt hinzu, daß die Regierung bei der wirtschaftlichen Umgestaltung wie auch außenpolitisch seit langem ein unüberschaubares Chaos produziert. Die Stimmung in der Bevölkerung sinkt zusehends, in- und ausländische Unternehmer sind verunsichert. Die beiden kleinen Koalitionspartner Kleinlandwirte und Christdemokraten distanzieren sich sichtlich vom MDF, und die Beziehungen zu fast allen Nachbarländern Ungarns hat die Regierung mit Erfolg verschlechtert. So zeigt wohl spätestens die jetzige Krise des MDF, daß es nicht Regierungspartei, sondern eine politikunfähige nationale Sammlungsbewegung ist. Dabei könnte sich die fortwährend beschworene „nationale Tragödie“ schnell als Self fulfilling prophecy erweisen. Keno Verseck