Die Sonnenwende in Aachen

■ Die Stadt will Strom aus privaten Photovoltaik-Anlagen kostendeckend vergüten / Der Stadtrat entscheidet heute

Berlin (taz) – Wenn die Freunde der Sonnenenergie hierzulande ihre Visionen vom anbrechenden Solarzeitalter an den nackten Zahlen der Energiestatistik messen, kommen ihnen schon mal die Tränen. Ganz besonders beim Blick auf die direkte Stromerzeugung aus Photovoltaikanlagen. 1990 produzierten nach Angaben der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) alle öffentlichen und privaten Solarstromanlagen in der Bundesrepublik zusammen etwa 700.000 Kilowattstunden (kw/h) Strom. Im vergangenen Jahr, schätzt die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS), mögen es eine Million kw/h gewesen sein. Ein einziges Atomkraftwerk der Biblis-Klasse schafft das in einer Dreiviertelstunde.

In dieser eher trostlosen Situation haben Sonnenanbeter in Aachen eine neue Idee zur Überwindung der Stagnation geboren: „Kostendeckende Vergütung“ (oder kurz: „kV“) lautet das Zauberwort, mit dem der dortige Solarenergie-Förderverein die schlappe Photovoltaik-Konjunktur auf Trab bringen will. Heute entscheidet der Rat der Stadt Aachen, ob sich die Bischofsstadt, die sich im internationalen „Klimabündnis der Kommunen“ verpflichtet hat, den lokalen CO-2-Ausstoß bis 2010 auf 50 Prozent herunterzufahren, an die Spitze der Bewegung stellt. Neu an dem „kV“-Vorschlag ist vor allem die Lösung der Finanzierungsfrage: Sonnenenergiefreunde, die sich eine Photovoltaik-Anlage aufs private Hausdach montieren, würden jede daraus ins öffentliche Netz eingespeiste Kilowattstunde vom zuständigen Stromversorger mit zwei Mark vergüten lassen können. Der Stromkonzern könnte die zusätzlichen Kosten auf die Gesamtheit seiner Stromkunden umlegen. Die monatliche Stromrechnung für die normalen Tarifkunden würde – hat das Umweltamt der Stadt ausgerechnet – um nicht einmal 15 Mark steigen.

In Aachen nahm das „kV-Modell“ schon im vergangenen Herbst die erste Hürde. Mit den Stimmen von SPD, Grünen und einiger CDU-Abgeordneten verkündete der Stadtrat am 30. September letzten Jahres die Zukunft Aachens als Solar-City. Doch so kam es nicht. Statt dessen entwickelte sich ein anhaltendes Tauziehen mit den unwilligen Stadtwerken. Jetzt soll notfalls sogar deren Vorstand des in die Wüste geschickt werden.

Ein Durchbruch heute abend könnte das Solartief überwinden helfen. Aachener Verhältnisse, rechnet der dortige SPD-Bundestagsabgeordnete Gerhard Diefenbach vor, würden, übertragen auf alle Kommunen in Deutschland, einen Photovoltaik-Boom mit einer Gesamtkapazität von 350 Megawatt auslösen.

In 35 anderen deutschen Städten von Berlin bis zum Bodensee werde inzwischen an der „kostengerechten Vergütung gearbeitet“, jubelte kürzlich der Solarenergie- Förderverein. Und alles schaut auf die Pioniere. Gerd Rosenkranz