: Rasen, was das Pedal hergibt
■ Serie: Berlins schlimmste Straßen (3): Die Frankfurter Allee in Friedrichshain hält Platz drei beim Geschwindigkeitsrekord / 70 Stundenkilometer und mehr
„Überhaupt kein Problem“, meint Lars und sprintet über die drei Fahrspuren vom Bürgersteig zum rettenden Mittelstreifen. Am späten Abend bereite ihm die Überquerung der Frankfurter Allee in Friedrichshain keine großen Schwierigkeiten. Der Student ist schnell, für ihn ist die trennende Wirkung der Rennstrecke vom Bezirksrathaus zum S-Bahnhof Lichtenberg noch erträglich. Zwar findet auch er die riesigen Entfernungen zwischen den Ampeln „lästig“, doch ist er dank seines Tempos nicht auf sie angewiesen.
Wer bei seinen täglichen Fußwegen nicht regelmäßig in die gedopten Fußstapfen eines Ben Johnson treten kann, dem bietet sich keine Alternative. Zu diesem Ergebnis kommt die „Studie zur stadtverträglichen Belastbarkeit der Berliner Innenstadt durch den Kfz-Verkehr“, die der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz seit einem Jahr vorliegt, die Chef Volker Hassemer (CDU) jedoch seitdem der Öffentlichkeit vorenthält.
Danach wird in der Frankfurter Allee gerast, was das Pedal hergibt. Nach der Stralauer Allee und der Holzmarktstraße liegt die Ost- West-Achse im Gesamtberliner Durchschnitt auf dem gefährlichen dritten Platz im Geschwindigkeitswettbewerb: 85 Prozent der Autofahrer brettern mit durchschnittlich 70 Kilometern pro Stunde durch, wenn der Verkehr es zuläßt.
Die 15 Prozent mit noch höherer Geschwindigkeit wurden von der Gutachtergruppe der Berliner Gesellschaft für Informatik, Verkehrs- und Umweltplanung (IVU) und der Berliner Forschungsgruppe Stadt und Verkehr (FGS) erst gar nicht mit eingerechnet: Es habe sich in der Verkehrsplanung eingebürgert, davon auszugehen, daß 15 Prozent der Fahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit ohnehin überschreiten, so die Autoren der Studie.
Die Folgen der Raserei sind unübersehbar: Über 4,7 Millionen Mark kosten Unfälle pro Allee-Kilometer, so das Ergebnis des Gutachtens. Damit haben nur der Hermannplatz und die Zossener Straße eine höhere Unfallkostendichte. Als „Alarmwert“ hatte Hassemers Vorgängerin Michaele Schreyer (Grüne) 1,6 Millionen Mark pro Kilometer festgelegt – er wird in der Frankfurter Allee jedoch schon alle 350 Meter überschritten.
Selbst dem sprintenden Lars sind daher die Ampelübergänge dringend zu empfehlen – außer zu den Stoßzeiten: „Da kann man gemütlich zwischen den stehenden Autos durchlaufen“, so der junge Vater über die stinkenden Blechschlangen: „Nur mit dem Kinderwagen kommt man leider nicht durch.“ Christian Arns
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