Riesengewinne hinter einer Mauer des Schweigens

■ Schutzgelderpressung und Zigarettenhandel: Polizei nimmt Verdächtigen fest

Die Polizei hat einen Täter gefangen, zwar nicht den, den sie suchte, aber immerhin einen, der es Polizeipräsident Hagen Saberschinsky gestern ermöglichte, von einer erfolgreichen Arbeit der „Arbeitsgruppe Tabak“ zu sprechen. Hinter diesem unverfängliche Namen verbirgt sich eine Kripo-Sondertruppe, die seit Januar dem schwunghaften illegalen Zigarettenhandel in Berlin auf die Schliche kommen will. Dieses Metier ist nach Saberschinskys Einschätzung zunehmend von Schutzgelderpressung und Körperverletzungen charakterisiert.

Die Polizei macht eine Bande von Schutzgelderpressern auch für das bislang schwerste Delikt in diesem Milieu verantwortlich. Am 15.Mai wurde der Vietnamese Hung Quoc D. in der Hohenschönhausener Gehrenseestraße von etwa zehn Personen aus seinem Auto gezerrt und vor den Augen der Anwohner an acht Wohnblöcken vorbei in ein Ausländerwohnheim geschleppt, wo er mit Axthieben und Messerstichen so schwer verletzt wurde, daß er wenig später starb. Die Täter, so vermutet die Polizei, wollten mit dieser „Hinrichtung“ ein Exempel statuieren, der AG Tabak ermöglichten sie damit zum ersten Mal Einblicke in die weitgehend abgeschottete Tabakdealer-Szene. Denn aufgrund von Hinweisen konnte sie einige Zeit später in einer Wohnung in Ostberlin eine der ihrer Ansicht nach rivalisierenden Erpressergruppen auffliegen lassen. Sieben Verdächtige wurden festgenommen, jedoch sind alle mittlerweile wieder auf freiem Fuß – bis auf einen. Der hatte bereits im März an einem Überfall auf ein Vietnamesen-Wohnheim in Falkensee teilgenommen, bei dem ein Bewohner durch eine Tür hindurch erschossen wurde.

Er wurde mit zwei weiteren Tatverdächtigen in die Justizvollzugsanstalt Potsdam verbracht, aus der er jedoch entwich. Mittlerweile befindet er sich wieder hinter den gleichen Gittern. Dafür, daß er an dem Überfall in der Gehrenseestraße beteiligt war, gibt es allerdings keine Hinweise. Es sei, so erklärte Inspektionsleiter Heinz Werner Aping gestern, schwierig, gerichtsverwertbare Aussagen zu erhalten, man stoße in der Regel auf eine Mauer des Schweigens.

Dieser Umstand verärgert die Ermittler um so mehr, als der illegale Zigarettenhandel in Deutschland inzwischen einen geschätzten Steuerausfall von einer Milliarde Mark verursacht. Bei 350 Millionen Zigaretten, die letztes Jahr beschlagnahmt wurden, bedeutet das immerhin eine Dunkelziffer von 1.400 Prozent. Schwerpunkt des Schmuggels sind die fünf neuen Bundesländer und Berlin. In der Stadt wurden 1992 51 Millionen Zigaretten beschlagnahmt, 1991 waren es noch 20 Millionen weniger. Dieter Rulff