: „Auge, Mann, nicht Kraft“
Die Roten Nullen wurden Alternativ-Fußballmeister, aber die Begeisterung der Massen gehörte dem schwarzafrikanischen FC Lisano ■ Aus Aachen Silke Hasselmann
Am Anfang war die Auswertung. Zu Pfingsten steckte den Männern noch das EC-Finale Olympique Marseille – AC Mailand in den Knochen (Kommentar: „Vergeudete Lebenszeit“). Dann ergab sich eine verblüffende Zeitparallele zwischen vorletzten Bundesligaspielen und dramatischem Anstieg der Verletzungsquote in Aachen. Die Zwischendurchaussteiger boten abends erstinformiert den Stoff, aus dem die legendären Fachsimpeleien gestrickt sind, und die Früchte des Verbaltrainings wurden tags drauf deutlich zu Gehör gebracht. Auf allen drei Plätzen, bei sämtlichen zwanzig Teams.
Welch taktisches Geschick bewiesen die Bolzer am Feldesrand! Aber daß die korrekten, weil offensichtlichen Erkenntnisse über den Zusammenhang von Laufbereitschaft („Beweg dich!“), Tempogewinn durch Pässe („Hau wech die Pille!“) und Beachten der Flügelspitzen (s.o.) einerseits und Torerfolg andererseits bei Betreten des Platzes ad acta gelegt wurden, unterstreicht jedoch den alternativen Charakter gegenüber DFB-Ligaspielen nicht mehr.
Erster Spieltag, fünfte Minute der Vorrunde: Gegen die „Vincenz Park Rangers“ Mainz entfleucht einem „Schwarz auf Weiß“-tazler der erste „Affe!“ Der Jubel irritiert, gilt aber Udo Lappe nebenan. „Juventus Knallgas“ aus Aachen wird in ihm fortan bis zum siebten und letzten Spiel um Platz 15 seinen einzigen Torschützen haben. Wichtiger: Der 28.000 Zuschauer fassende Tivoli, sonst Schauplatz von Oberliga-Rührstücken der Alemannia, erlebt das erste Bunte-Liga-also-nicht-DFB- Tor!
Die lustigste Truppe kam wie immer mit „Beton Union“ und Groupies aus Köln. Die am ehesten wiederzuerkennende mit „Bongo Bongo“ aus dem Westerwald. Keine Schere schien ihnen je die Haare gekrümmt zu haben. „Dynamo Windrad Kassel“ könnten die Trinkfestesten gewesen sein. Das Ersetzen des Muskellockerns durch innere Erwärmung machte sich im Spiel um Rang 13 gegen die taz (1:2) jedoch nicht bezahlt.
Die schönste Warming-up- Phase und den ausgelassensten Torjubel zeigte der „FC Lisano“, eine Asylbewerbermannschaft der Achse Aachen-Zaire. Als Lisano, was übersetzt „schöner Fußball“ heißt, trotz Erschöpfung auch im Finale hohe Ballkunst zeigte (1:1 n.V., dann Elfmeterschießen, das die Titelverteidiger und daher Veranstalter „Rote Nullen“ Aachen gewannen), waren die Afrikaner längst Publikumslieblinge. Die leicht schwarz-humoristische Frage: „Und nächstes Jahr in Brazzaville?“, angesichts des taufrischen Schäuble-Sieges gegen das Grundgesetz, verstummte allerdings in der Zeitrechnung nach Solingen.
Das einzige Ost-Kollektiv rekrutierte sich aus Freunden von Freunden von Ostberliner Clubbern. Jörg ließ sich durch den ORB an die Bunte Liga e.V. vermitteln. „Wenn ich mal nicht dran denke, wie ernst es hier einige nehmen, macht es sogar richtig Spaß.“ Da ist er, der Widerspruch, der sich aus dem menschlichsten aller Zuschauerwünsche ergibt: mehr Tore! Wie denn, wenn die Leute nicht hyperfit sein wollen, und wenn – ja, wo fängt das verabscheute Leistungsdenken an? Rudolph, 42jähriger Stürmer-Benjamin von „Roter Hammer“ Köln, hat nicht die Sorge, daß der Nachwuchs jenseits der DFB-Liga ausbleibt. Aber: „Die Jungen sind zu ehrgeizig.“ Frank, mit 25 der jüngste Bolzer von „Petermann Stadtgarten“: „Jetzt mag es wieder gehen. Aber als ich vor zwei Jahren einstieg, waren es die Älteren, die Druck gemacht haben.“ Die Alternativmeister der Jahre 88 und 89 galten als arrogant. Jetzt zeigten die Kölner, die sich einst nach dem auf der Flucht von Zooschergen ermordeten Schimpansen Petermann benannten, völlig neues Denken. Sie integrierten die Vorrundenpartner derart zuvorkommend in ihr Spiel, daß denen sogar vollständig das Toreschießen vorbehalten blieb. Inklusive Eigentore, die „Petermann“ in die Hauptrunde brachten. Mit „Partisan Eifelstraße“ kam das Aus, jedoch waren beste Wünsche für den Titelgewinn zu vernehmen. „Dann komme mer näxschtesch Jahr zu eusch.“ Eusch sind die Berliner.
Die Partisanen nämlich streuten, bei Sieg würden sie die 94er Meisterschaft als Olympia-Ersatz für und in Berlin ausrichten. Doch im Halbfinale gegen die Afrikaner trat Partisan Toni den entscheidenden Elfer. Zwischen Berlin-Option und Lisano-Verehrung traf er – den Torwart.
Bei der abendlichen Siegerehrung aber, die noch länger dauerte als das Endspiel, hatte sich das Gerücht längst zur allgemeinen Forderung gemausert. Nur der Wille zur alternativen Originalität ließ zu wünschen übrig. Denn es ertönte der DFB-Pokalschlachtruf „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“
Am Ende blieben die Wetten: Wer wird denn nun Meister im geregelten Fußballeben?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen