No Budget?

■ Ungereimtheiten beim Hamburger 9.Kurzfilm-Festival

Einst war das Hamburger „No Budget Festival“ ein öffentliches Tribunal für subjektive und meistens auch recht trashige Sensationen, die zumeist auf Super-8 verwirklicht wurden. Schließlich: Warum sollte nicht einem Kino- von-unten mal der Sprung auf die große Leinwand gelingen? Das Hamburger No-Budget-Kurzfilm- Festival sollte helfen, die ungeschminkteren – albernen oder tiefernsten – Seiten wenig repräsentierten Lebens in den Kinos den großen Schmonzetten als Denk- doch-mal vorauseilen zu lassen.

Schon in den vergangenen Jahren aber hat sich das „No Budget“ vom B-Movie-Markt zum überaus seriösen Kurzfilm-Markt gewandelt. Das diesjährige Festival (vom 27. bis 31.Mai) stand nun ganz unter dem Stern künstlerisch und handwerklich professionell gemachter Filme. Das hätte eigentlich auch die No-Budget-Wettbewerbs-Jury wissen müssen. Trotzdem gab sie am Montag, dem Abend der Preisverleihung, im heimeligen Halbdunkel des „Docks“ in St.Pauli bekannt, daß überhaupt kein No-Budget-Preis vergeben werde – weil gar kein No-Budget- Werk am Start gewesen sei. Im Partykeller-Schummern nahmen gut 800 Anwesende diese Entscheidung gleichmütig, und ohne Protest zu äußern, hin.

Die neue Festivalleiterin Birgit Kämper, hatte sich, wie auch ihre Vorgänger in den vergangenen Jahren, bemüht, die eingereichten Filme in zwei Wettbewerbskategorien zu sortieren: Im „No Budget“- Wettbewerb (Filme ohne öffentliche Förderung und weniger als 10.000 Mark Produktionskosten) stritten 25, im „Steppin' out“-Wettbewerb (geförderte Filme, die mehr als 10.000 Mark gekostet haben) buhlten gar 37 Filme um die Jury- und Publikumspreise.

„No Budget“? Die Kriterien sind Makulatur, die arrivierten Filme inzwischen in der Mehrzahl. Zwar gab es auch dieses Jahr noch preiswerte Werke, wie „Bela Barini“ (35 Sekunden, Budget: 64,95 Mark, Plot: Trabant-Manager in Mercedes-Persiflage) oder „Paradies“ (28 Sekunden, Budget: 30 Mark, Plot: Wie der Apfel die Schlange frißt), doch diese beiden nahmen sich fast wie Quotenschweine im übermächtig werdenden Angebot der No-Budget-Produkte aus, die im einzelnen bis zu 20.000 US-Dollar verschlangen. „No Budget“?

Auch die „Steppin' out“-Jury konnte sich nicht über einen ersten, zweiten und dritten Preis einigen. Deshalb vergab sie den ersten Preis gleich zweimal: Ein erster Preis ging an Roy Andersons „World of Glory“, einen leisen brutalen und kalten Bilderbogen aus dem Leben eines Maklers. Der Schwede Anderson hat für seinen Streifen 800.000 US-Dollar verbraten. Auf zwei Stunden hoch gerechnet, käme da glatt ein Budget von 4,8 Millionen Dollar zusammen. „No Budget“?

Der zweite erste Preis ging an „Passage à l'acte“, gedreht von dem Wiener Filmtheoretiker und Experimentalfilmer Martin Arnold, der eine traute Szene aus einem Hollywood-Familien-Rührstück zerhackstückt und gesampelt hat, daß sie wie die Zeitrafferaufnahme einer blühenden Familienneurose wirkt. Zwölf Minuten hämmernde Türen, Teller, Gabeln und Wörter.

Die Publikumspreise gingen an sechs „sendefähige“ Filmchen, und einer davon, „Schwarzfahrer“ von Pepe Danquart, ist aktuell und komisch. In zwölf Minuten thematisiert „Schwarzfahrer“ Apartheid in Deutschland – ansonsten gab's nur Filme wie die „Hommage an die Horror-B-Movies der 50er Jahre“ („Klinik des Grauens“ von Rainer Matsutani) und die familiengerechte, aufgeklärte und vorurteilsfreie Kiddie-Peep-Show („Dinner with Malibu“ von Jon Carnoy).

Der ursprünglichen Idee von „No Budget“, das vor zehn Jahren aus einem Filmseminar der Hamburger Uni entstand, ist der inzwischen traditionelle Programmpunkt „Flotter Dreier“ noch am nächsten. Hier tummelt sich unter einem Thema alles, was keinen Namen hat. Per Akklamation wurde im vergangenen Jahr das 93er Thema der eigens für „No Budget“ produzierten Drei-Minüter festgelegt: Chinesisch. Das Rennen machte Miko Zeuschners „Chinesisches Kriegsgericht“, ein allerliebster Animationsfilm, in dem sich Eier- und Spinat-Pasta auf in den Kampf („Avanti Pasti“) gegen Chop Suey samt schlängelnder Soja-Keime machen.

Der Höhepunkt 1993 war kurzerhand „No Budget“, und der Titel des dicken Kataloges legte eher die Lesart „Kurzo“ nahe. „Kurzo“, Hamburger Kurzfilmtage, das wär's vielleicht noch, parallel dazu muß „No Budget“ neu erfunden werden. Die Chancen dazu wären gegeben: das vergnügungshungrige Publikum zwang am Montag trampelnd und pfeifend den Organisatoren das Thema für den „Flotten Dreier 94“ auf: „Der Kanzler stirbt“.

Diese inhaltliche Perspektive könnte öffentliche Hände und Zigarettenfirmen vorm „No Budget 1994“ zurückschrecken lassen. Aber ist die Zeit nicht auch reif für ein neues Film-Festival „Welt ohne Geld im Film ohne Geld“. Julia Kossmann