Gerettete Parteidisziplin

■ betr.: "Deutschland in seinen Grundfesten erschüttert", Bonn-apart: 50 aus 39", taz vom 22.5.93

betr.: „Deutschland in seinen Grundfesten erschüttert“, „Bonn- apart: 50 aus 39“, taz vom 22.5.93

In Eurem Artikel, der auf die Fraktionsabstimmung der SPD zum Asylkompromiß Bezug nimmt, zitiert Ihr die Presseerklärung der Bonner Pax-Christi-Gruppe vollkommen sinnentstellend, Myriam Schönecker geht ebenfalls am Kern unserer Aussage vorbei.

Der Kern unserer Aussage war, daß der Asylkompromiß noch kippen könne, falls die SPD-Fraktionsabstimmung keine Mehrheit mehr brächte. Eine Minderheit würde zwar für die Zweidrittelmehrheit im Bundestag reichen; es wäre aber für die Partei politisch katastrophal geworden. Deshalb auch hat es offensichtlich einen ungeheuren Druck auf Vogel und sein Umfeld der in der Mitte wankenden Abgeordneten gegeben, so daß dieser Block noch in letzter Sekunde für die Grundgesetzänderung gewonnen wurde.

Der perfide Trick zur Gewissensberuhigung dieser Abgeordneten war, einerseits der Grundgesetzänderung zuzustimmen, andererseits dem Asylverfahrensgesetz eine Absage zu erteilen; in letzterem ist die Konkretisierung der Aufhebung der Rechtsweggarantie formuliert, die Vogel bis zuletzt kritisierte. Allerdings konnte das Asylverfahrensgesetz mit einfacher Mehrheit durchgehen – aber: Es konnte nur durchgehen, nachdem eben das Grundgesetz selbst entsprechend geändert war. Von daher ist das Abstimmungsverhalten dieser SPD-Abgeordneten hinterhältig ung betrügerisch! Sie gaukeln vor, gegen die Aufhebung der Rechtsweggarantie zu sein und haben sie doch selbst ermöglicht.

Sieht man sich die Abstimmungsergebnisse genau an (521:132 bzgl. Grundgesetzänderung und 497:158 bzgl. Verfahrensgesetz), dann bemerkt man, daß die Differenz genau der Teil der Abgeordneten der SPD ist, der den „Kompromiß“ bei der Fraktionsabstimmung noch zum Kippen hätte bringen können.

Aber die Parteidisziplin war – wieder einmal – wichtiger als die Rettung eines Grundrechts! Herzlichen Glückwunsch, Herr Vogel – solche aufrechten Demokraten braucht unser Land! Martin Singe, Bonn