Guatemalas Präsident entmachtet

Militär stürzte offenbar Staatschef Serrano / Streitkräfte verstehen sich als Garanten der Verfassung / Opposition befürchtet Militärdiktatur mit ziviler Fassade  ■ Aus Guatemala-Stadt Ralf Leonhard

Der getäfelte Festsaal im pistazienfarbenen Nationalpalast in Guatemala-Stadt hat schon viele Proklamationen erlebt. Gewöhnlich nahmen Offiziere in Kampfanzügen hinter dem geschnitzten Edelholztisch Platz. Diesmal waren die Militärs in der Minderheit. Politiker, Unternehmer, die Rektoren der Universitäten und der Menschenrechtsombudsmann flankierten Verteidigungsminister General Garcia Samayona und drei weitere Offiziere. Doch das Wort führte nicht der General, sondern ein schmächtiges Männlein im grauen Anzug – der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Epaminondas Gonzalez Dubon, der den juristischen Hintergrund der neuen Situation erläuterte. Zuvor war Präsident Jorge Serrano, der letzte Woche einen „Putsch von oben“ durchgeführt hatte, offenbar vom Militär zum Rücktritt gezwungen worden.

Doch gestern erklärte Serrano, er betrachte sich als noch im Amt, auch wenn dies faktisch nicht mehr so sei. Er sei Opfer eines Staatsstreichs des Militärs, sagte der gestürzte Staatschef, der sich zunächst offenbar noch im Präsidentenpalast aufhielt.

Als Grundlage für die Absetzung Serranos dient eine Verfügung des Verfassungsgerichtshofes, in der die Dekrete, mit denen Serrano das Parlament, den Obersten Gerichtshof und den Verfassungsgerichtshof aufgelöst hatte, für verfassungswidrig und damit für null und nichtig erklärt wurden. Da sich der Staatschef über diese Erklärung hinweggesetzt und ihre Publizierung im Amtsblatt verhindert habe, hätte das Gericht den Innen- und den Verteidigungsminister zu Hilfe gerufen, um Serrano wegen Verfassungsbruchs abzusetzen.

Nachfolger Serranos wäre an sich Vizepräsident Gustavo Espina gewesen, doch dieser durfte das Amt nicht antreten. Bis der Kongreß wieder zusammentritt und einen Präsidenten für den Rest von Serranos Amtszeit wählt, bleibt das Land ohne Staatsoberhaupt. Ursprünglich ging das Gerücht, General Garcia Samayoa würde interimistisch die Staatsgeschäfte selbst übernehmen. Doch während vor den Toren eine auf über tausend Menschen anschwellende Menge in Sprechchören nachdrücklich die Bildung einer zivilen Regierung forderte, wurde hinter verschlossenen Türen ein Kompromiß ausgehandelt. Die Armee, so heißt es jetzt offiziell, will lediglich für den Schutz der Verfassung und der öffentlichen Ordnung sorgen, um den Befürchtungen über eine neue Militärdiktatur nach nur sieben Jahren Demokratie zu begegnen. Als Favorit für die Nachfolge Serranos gilt Arturo Herbruger, der achtzigjährige Vorsitzende der Obersten Wahlkommission.

Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu, für die ein Platz im Festsaal freigehalten wurde, weigerte sich, der Lösung mit ihrer Präsenz den Segen der Volksorganisationen zu geben. Diese hatten wenige Stunden vorher noch jeden politischen Kuhhandel zurückgewiesen und die Beteiligung der nicht in den Parteien organisierten Bevölkerung am Entscheidungsprozeß gefordert. Menchu sprach von einer „militärischen Lösung der Krise mit ziviler Fassade“.

Serrano hatte offenbar das interne und internationale Kräfteverhältnis falsch eingeschätzt. Die fast einhellige Verurteilung seines Putsches durch alle Regierungen des Kontinents, die sofortige Suspendierung der US-Wirtschaftshilfe und die Androhung von Sanktionen durch die Delegation der Organisation Amerikanischer Staaten hatten die Unternehmerschaft gegen Serrano aufgebracht. Und selbst die Armee, die anfangs ihrem Oberbefehlshaber nicht den Gehorsam verweigern wollte, hängte plötzlich ihr Mäntelchen nach dem Wind und ließ den Präsidenten im Regen stehen.

Am frühen Dienstagmorgen unternehm Serrano noch einen letzten Versuch, seine Haut zu retten: er ließ die Parlamentsabgeordneten zu sich kommen und schlug ihnen vor, alles wieder ungeschehen zu machen. Die meisten ließen ihn aber trotz verlockender Bestechungsgelder abblitzen. Auch der Druck der Straße hätte eine Rückkehr zum Status quo ante nicht mehr zugelassen. Das ist nicht zuletzt das Verdienst eines Teils der Presse, die sich der strengen Zensur widersetzt hatte.

Die Zeitung siglo XXI (21. Jahrhundert) erschien fünf Tage überhaupt nicht und kam am Montag unter dem Namen „14. Jahrhundert“ mit eingeschwärzter Titelseite und weißen Seiten im Inlandsteil auf die Straße. Die Zensur erinnere an den Obskurantismus des Mittelalters, schrieb der Herausgeber. Und noch während im Nationalpalast der Abgang Serranos verhandelt wurde, führten die Journalisten einen verbotenen Protestmarsch durch die Innenstadt an.

Politiker und Diplomaten feierten die erfolgreiche Absetzung des autoritären Staatschefs als großen Erfolg und Sieg der Demokratie. „Die Sache war ein heilsamer Schock für die Parteien und wird strukturelle Veränderungen nach sich ziehen“, meinte Carlos Perez, Abgeordneter der Zentrumsunion UCN. Vor allem Leute, die politische Ämter lediglich als Mittel zur persönlichen Bereicherung betrachten, müssen jetzt mit sozialer Ächtung rechnen. Wie sich die neue Situation auf den unterbrochenen Friedensdialog mit der Guerilla und die weitere Emanzipation der Zivilgesellschaft auswirken wird, ist noch nicht abzusehen. Die Volksorganisationen jedenfalls trauen dem Frieden noch nicht. Sie wollen ihre Protestveranstaltungen fortsetzen.