Mit Sicherheit lange Arbeitslosigkeit

■ Die Wirtschafts- und Finanzminister der reichen Industriestaaten treffen sich zur OECD-Jahrestagung in Paris / Doch niemand weiß, wie heute in Westeuropa neue Beschäftigung geschaffen werden kann

Berlin/Paris (taz/AP/AFP) – Die alljährlichen Treffen der Wirtschafts-, Handels- und Finanzminister aus den 24 Industriestaaten in Paris galten in den vergangenen Jahren als so ziemlich die langweiligsten Politveranstaltungen der Welt. Die gemeinsame Beratungs- und Wirtschaftsforschungsorganisation OECD pflegte ihren Bericht über das voraussichtliche Wachstum vorzulegen; die Runde der Reichen nickte die Prognose ab und jettete zurück zur richtigen Politik daheim. Ganz anders in diesem Jahr: der OECD-Bericht eignet sich nicht wie in den Vorjahren als schmückender Anhang zur jeweiligen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Westeuropa steckt in der Rezession, und selbst wenn diese überwunden sein wird, bleibt den Industriestaaten wachsende Arbeitslosigkeit, konstatieren die OECD-Leute.

Die Experten haben außerdem umgedacht: Geißelten sie noch vor Jahresfrist die hohen Staatsschulden und Zinssenkungen (wie in den USA) als inflatorische Fehlentwicklungen, so halten sie diese Sünden heute für läßlich. Finanzpolitische Dummheiten seien immer noch besser, als das Risiko sozialer Explosionen einzugehen.

Dieses Risiko jedoch ist keinesfalls gebannt. OECD-Vertreter äußerten gestern die Besorgnis, daß der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit zu sozialen und politischen Problemen führen könne. Bis Ende 1994 werde die Zahl der Erwerbslosen in den 24 OECD- Staaten (alle EG- und Efta-Staaten, die USA, Kanada, Japan, Australien, Neuseeland und die Türkei) auf 35 Millionen ansteigen, heißt es im diesjährigen Konjunkturbericht.

In Deutschland werde die Arbeitslosenquote in diesem Jahr auf 9,3 Prozent und im kommenden auf 11,4 Prozent steigen – obwohl die OECD der Bundesrepublik 1994 wieder ein leichtes Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent zutraut. In den Staaten der Europäischen Gemeinschaft dürfte den Angaben zufolge mit einer Zunahme auf über elf Prozent der höchste Stand der Arbeitslosenquote seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht werden. Anders als in früheren Rezessionen werden dieses Mal nicht ausschließlich Hand-Arbeiter ihre Jobs verlieren, sondern auch die besser ausgebildeten Kopf-Arbeiter.

Allein in den Vereinigten Staaten wird bei laufender Erholung der Konjunktur mit einer zurückgehenden Arbeitslosigkeit auf sieben Prozent für 1993, auf 6,5 Prozent im nächsten Jahr gerechnet. US-Finanzminister Lloyd Bentsen sagte jedoch einschränkend dazu, die Welt könne nicht allein auf den Wirtschaftsaufschwung in den USA setzen, um aus der Rezession herauszukommen.

Gleichzeitig übte er scharfe Kritik an der Wirtschafts- und Handelspolitik der japanischen Regierung. Die Außenhandelsüberschüsse bedrohten das Wachstum der Weltwirtschaft. Japan müsse seine Inlandsnachfrage erhöhen, forderte Bentsen. Der Generaldirektor des japanischen Wirtschaftsplanungsamts, Hajime Funada, sagte jedoch gleich bei seiner Ankunft, daß „die Welt“ sich mit den vorhandenen Programmen zur inländischen Konjunkturbelebung bescheiden müsse.

Am Rande des OECD-Jahrestreffens wollen die Handelsbeauftragten der Vereinigten Staaten, Japans, der EG und Kanadas außerdem Bewegung in die blockierten Verhandlungen über ein liberalisiertes Welthandelsabkommen (Gatt) bringen und sich zunächst im Streit um die Zugänge zu ihren Märkten einigen.

Die Schwierigkeiten dabei offenbarten sich einmal mehr in den Formulierungen: Es sei „realistisch“, ein entsprechendes Vorabkommen noch vor dem Wirtschaftsgipfel im Juli anzustreben, schraubte sich der Vizepräsident der EG-Kommission, Sir Leon Brittan, gestern am Thema entlang. Vor dem OECD-Treffen hatte Japan vorgeschlagen, die Einfuhrzölle für 770 Produkte um die Hälfte zu senken. Die USA haben eine Reduzierung um 32 Prozent, die EG-Staaten um 25 Prozent angeboten. dri