Wozu ein deutscher Paß?

■ Was türkische Jugendliche von der doppelten Staatsbürgerschaft erwarten

Für türkische Jugendliche gibt es wenige Tage nach Solingen attraktivere Vorstellungen als die, mit einem deutschen Paß in der Tasche herumzulaufen. „Auf die doppelte Staatsbürgerschaft scheiße ich“, erklärt ein junger Mann in einem Importladen in Berlin-Kreuzberg. „Warum soll ich zu den Deutschen gehören, die uns umbringen?“ Keinen Zweifel läßt er daran, daß er und seine Freunde sich wehren würden – Waffen liegen angeblich bereit.

Mehr als die Hälfte aller Türken in Deutschland sind minderjährig. Die Jungen reagieren auf den jüngsten Mordanschlag oft emotionaler als ihre Eltern. „Die Stimmung ist jetzt umgeschlagen“, beobachtet etwa Halil Can, Student der Politikwissenschaft in Berlin. Er gehört der zweiten Generation in Deutschland an. Im Rahmen einer Umfrage des Berliner Instituts für Arbeitsmigration und Minderheitenpolitik fand der 25jährige heraus, daß die meisten Türken die doppelte Staatsbürgerschaft begrüßen würden.

Die Emotionalität, die jetzt das Bild bestimmt, wird bald wieder abflauen, glaubt Halil Can. Allerdings nur dann, wenn die Anschläge aufhören und eindeutige Signale von seiten der deutschen Politik kommen. „Ansonsten sehe ich schwarz. Irgendwann verlieren die Leute die Kontrolle, vor allem die jungen.“ „Eine Perspektive für die junge Generation der Türken“ fordert Ertekin Özcan von der Türkischen Elternvertretung in Berlin. Die doppelte Staatsbürgerschaft wäre seiner Meinung nach ein solches Ziel. Allerdings: „Die Jugendlichen wollen automatisch das Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft, sie wollen nicht von einem Gnadenakt abhängig sein.“

Stolz ist denn auch eine Regung, die in der Reaktion der jungen Türkinnen und Türken eine große Rolle spielt. Und das nun diskutierte Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft wird auch auf ihren praktischen Nutzen im gefährlich gewordenen Alltag geprüft. „Auch mit einem deutschen Paß in der Tasche werde ich in der U-Bahn angequatscht – weil ich eben aussehe wie ein Türke“, hört Erzieher Harald Kemppe im Jugendzentrum Naunynritze in Kreuzberg immer wieder; 90 Prozent der Besucher hier sind Türken. Seit Tagen reden sie über den Solinger Anschlag.

Daß die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft nicht überzeugt, liegt möglicherweise auch an fehlender Abstimmung der deutschen Aktivisten mit den türkischen Jugendlichen. „Die nun laufende Kampagne“, so fürchtet Politikstudent Halil Can, „kommt bei denen nicht an.“ Hans Monath, Berlin