Jack Daniels, Barbara und Puh der Bär

■ Ein Abend mit Frank Sinatra: Alt isser, den Ton trifft er nur noch selten, aber richtig übel nimmt's ihm keiner

: Alt isser, den Ton trifft er nur noch selten, aber richtig übel nimmt's ihm keiner

Er ist sogar zu alt, sich selbst zu zelebrieren. Die lebende Legende Frank Sinatra (77) tapste am Mittwoch abend wie Puh der Bär im Frack auf die Bühne. Vor einem Publikum, das genauso aussah, wie man sich ein Frank-Sinatra-Publikum vorzustellen hat, haspelte „The Voice“ sein 75minütiges-und- keine-Minute-länger-Programm herunter. Das sich weder richtig zum Schwelgen noch zum Mitswingen eignete — eine echte Abschieds-Gala eben.

„Come fly with me“, forderte Francis Albert seine Gemeinde auf. Doch die tat sich nach den ersten Standing ovations zunächst schwer damit, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Die eher beschauliche Anfangsphase räumte einigen Besuchern vielmehr Spielräume ein, elementarere Bedürfnisse auszuleben. Zum Beispiel der Macho mit der blauen Sonnenbrille in Reihe 19: Er verpaßte seinem Vordermann aus unerfindlichem Grund schlicht eins aufs Maul. Was wiederum nicht nur dessen Begleiterin zu bitteren Tränen verleitete, sondern die Sitznachbarn länglich in das anschließende Gerangel mit den Ordnern involvierte. Andere verausgabten sich in hysterischen Wutausbrüchen: Ihnen wurde die teuer erkaufte Aussicht von Fans versperrt, die ihrem Frankie besonders nahe sein wollten. Außerdem von erheblichem Reiz: Die gebratenen Gambas und die Alkoholika („Was ist Sinatra ohne Champagner?“).

Währenddessen nuschelte sich der kleine Dicke mit der grauen Perücke friedlich durch seine musikalischen Erinnerungen, wobei die Ton-Trefferquote mit steigendem Wiskey-Konsum stetig abnahm. Selbst hartgesottenen Anhängern machte er es schwer, die Erinnerung an seine treffsichere, unverwechselbare Stimme aus früheren Tagen warmzuhalten. Nur der Drive der 24köpfigen Band hielt über lange Strecken das Mitwippen der Füße im Takt.

Dennoch: Frankie verströmte Charme. Auch wenn er ständig die Namen der Komponisten vergaß und auch mal einen Einsatz verpaßte, war seinen raren Sprüchen immer ein Schuß Selbstironie beigemischt. Sein roter Faden: Ehefrau Barbara („Wenn die heute abend die vielen Blumen sieht, glaubt sie womöglich, ich sei bei einer Beerdigung gewesen“) und seine Trinkgewohnheiten („Jetzt brauche ich noch einen Jack Daniels, um wieder klar sprechen zu können“). Das Publikum mochte es.

Es mochte auch „Strangers in the night“, „Mack, the knife“ und

1es tobte und kreischte frenetisch zu „New York, New York“ — war mit Frankie einen kurzen Moment lang „King of the hill, head of the list“. Zum Abschied des Show-Biz- Giganten, wie könnte es anders

1sein, das Lieblings-Rührstück: „My way“, das trieb Tränen in die Augen und Hände mit Lichtlein in die Höhe. Seele pur, wäre da nicht die gellende Frauenstimme aus der hinteren Reihe gewesen, die immerzu

1„hinsetzen“ kreischte.

Mag „Ol' Blue Eyes“ auch den Zeitpunkt für einen glamourösen Abschied verpaßt haben, für einen melancholischen Abschied reicht es noch allemal. Sannah Koch