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SanssouciVorschlag

■ „Tanz der Teufel“ von Sam Raimis wieder im Kino

Es ist ein Dämon, aber wir bekommen ihn nie zu Gesicht. Wir schauen durch seine Augen. Sein Blick ist unser Blick. Und dieser Blick kann töten. Wie von einem Gummiband gezogen, schnellt die Kamera voran, in ihrem achterbahnhaften Schweben hin- und herschaukelnd, als wäre sie auf den Kufen eines Hubschraubers postiert. Über Äste und Sträucher hinweg bahnt sie sich ihren Weg, unaufhaltsam, wie im 180-Grad-Kino duckt man sich unwillkürlich mit, bewegt den Kopf, um vorbeifliegenden Sträuchern auszuweichen. Die Türen einer Blockhütte fliegen auf, und die rasende Vorwärtsbewegung fräst sich mitten in die angstverzerrten Augen von Ash (Bruce Campbell). Auf das Weiße in seinen Augen folgt nur noch die Schwärze des Abspanns. Ende.

Samuel M. Raimis „Tanz der Teufel“ versetzt uns zurück ins Jahr 1895, zur historisch ersten öffentlichen Filmvorführung in jenes Pariser Café, in dem Louis Lumières „L' Arrivée d'un train“ uraufgeführt wurde: Die Lokomotive raste vom Hintergrund der Bildwand her frontal auf den Betrachter zu. Weil sie fürchteten, überfahren zu werden, sprangen die Zuschauer vor Schreck von ihren Sitzen. Sie hatten ihr eigenes Sehen mit dem des Apparates identifiziert. Ein Schock.

Raimi hat ihn 1982 wieder herausgelassen, den Dämon des Bewegtbildes. „Tanz der Teufel“ ist eine furiose Achterbahnfahrt und eine faszinierende Mixtur aus Slapstick und Hardcore- Horror. Die Handlung ist einfach, aber alles andere als simpel. Fünf amerikanische Jugendliche werden während ihres Urlaubs auf einer tief im Wald gelegenen Blockhütte nacheinander von dämonischen Kräften heimgesucht, die ihre Leiber entstellen und in blutrünstige Wiedergänger verwandeln. Ausgelöst wurde das Debakel durch (un?)sachgemäße Handhabung eines im Keller gefundenen Tonbandgerätes. Die darauf elektromagnetisch konservierte Stimme eines Archäologen berichtet vom Fund eines mysteriösen „Buchs des Todes“. Indem er einen darin enthaltenen Zauberspruch aufs Band sprach, wurde der Archäologe unmittelbar zum Opfer der ans Aussprechen dieses magischen Spruchs gebundenen Wirkung. Und dieser Fluch besteht fort. Das bloße Abspielen des Tonbands bedeutet für die Zuhörer im Film die Wiederholung der Misere, die den Archäologen dahinraffte. Via Tonband geht die „ungefährliche“ stille Lektüre des Zauberspruchs verloren. Wer nicht lesen will, muß fühlen. Die Symbolfunktion der Sprache wird übersprungen durch die unmittelbare „Exekution“ des Bedeuteten. Im Moment des Zuhörens werden die Jugendlichen unmittelbar von dem affiziert, was erzählt wird. Das Tonband, das beim Abspielen die Geister ruft, steht für das Prinzip, das „Tanz der Teufel“ filmisch umsetzt. Der Film ist eine audiovisuelle Büchse der Pandora. Die Geschichte vom Tonband vollendet sich im Zusammenspiel der Akteure mit dem Gehörten. Ihre Körper werden zum Schau-Platz der Geschichte, die über sie hereinbricht, buchstäblich: spell-bound, der Fluch.

Das sogartig in die Geschichte Hineingezogenwerden wird dargestellt als Verlust jeglicher Orientierung. Einmal ausgelöst, funktioniert der Film nach dem Motiv des umgekehrten Exorzismus. Der entfesselte Diabolus ex machina trennt die rationale Ordnung von Raum und Zeit auf wie die Maschen eines Strickpullovers. Dinge und Menschen sind nicht mehr das, was sie zu sein vorgaben. Unschuldige Studenten verwandeln sich in seelenlose Killermaschinen, die selbst dann noch funktionieren, wenn sie in Einzelteile zerlegt werden. Kein Entrinnen.

Im Gegensatz zur gothischen Horrortradition – wo „das Böse“ nach dem Muster von „Dr. Jeckyll & Mr. Hyde“ abgespalten und somit die repressive Gesellschaftsordnung wieder bestätigt wird – ist „das Böse“ als identifizierbare Instanz in „Tanz der Teufel“ nicht enthalten. Es geht hier weder um verdrängte Sexualität noch um die hybride Wissenschaft. „Das Böse“ ist subjektlos und wird durch die subjektive Kamera repräsentiert, die rasant über den Waldboden schießt und dabei sogar Bäume umknickt. Auf dem Höhepunkt zerstückelt die Schnittechnik die Bilder so, daß oben und unten, fern und nah, dort und hier nicht mehr getrennt wahrgenommen werden können. Alle Mittel, die wir haben, um uns zu orientieren, sind in Auflösung.

Dieses Feuerwerk von Effekten, Ideen und szenischen Erfindungen brannte der damals 21jährige Collegestudent Samuel M. Raimi mit einem Minimalbudget ab. 380.000 Dollar, weniger als ein „Kleines Fernsehspiel“, kostete „The Evil Dead“. Es ist eine mit den Mitteln des Horrorfilms durchgeführte Reflexion, entstanden über den Verlust der Kontrolle über Bilder. Die graphisch exponierte Gewalt des Films ist Konsequenz des Kontrollverlustes. Man kann Schauspieler dazu bringen, daß sie sich – wie bei Ingmar Bergman – seelisch zerfleischen. Man kann aber auch zeigen, daß diese Schauspieler auf der Leinwand Bilder sind, die man nicht nur seelisch, sondern auch optisch zerstückeln, zersägen und zerhacken kann.

Als „Tanz der Teufel“ 1984 mit wenigen Kopien in deutsche Kinos kam, boomte hier der Heimvideorekorder so rasch wie in keinem anderen Land. Durch diesen neuen Distributionskanal floß eine Welle von „Videoschund“. Die Sozialpädagogen schrieen hysterisch auf. Ausgerechnet „Tanz der Teufel“ – der das Problem der Fiktionalität von Gewalt raffiniert reflektiert – stilisierte man zum Inbegriff des sittlich verrohenden Gewaltvideos und verbot ihn 1985 bundesweit. Der kleine Münchner Verleih Prokino erhob Einspruch gegen diese Form der ästhetischen Filmzensur und zog mit seiner Klage bis vors Karlsruher Bundesverfassungsgericht. Die Jurisprudenz ist heute der Ansicht, die Gewalt in „Tanz der Teufel“ richtet sich nicht gegen Menschen, sondern gegen Zombies: „Wenn der Gesetzgeber die filmische Darstellung von Gewalt gegen (...) Zombies hätte unter Strafe stellen wollen, hätte er dies im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck bringen müssen“, urteilten die Karlsruher Richter. Jetzt dürfen die Teufel wieder tanzen. Manfred Riepe

„Tanz der Teufel“: Im Eiszeit Kino (21.30 Uhr), in der Brotfabrik (23.30 Uhr) und in der Filmbühne Wien.

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