Der Mann mit dem Aidswurm

Zephania Tshuma aus Zimbabwe zeigt im Berliner Haus der Kulturen der Welt seine Holzskulpturen  ■ Von Barbara Häusler

Der Ethnologe Clifford Geertz erzählt in einem seiner Bücher, was ihm die Angehörige eines afrikanischen Stammes über die Ursache von Unfällen berichtete: Wenn ein Mann beispielsweise über eine Baumwurzel stolpert und sich ein Bein bricht, steckt Zauberei dahinter. Er muß den Zorn einer der zahlreichen Waldhexen herausgefordert haben. Derartiges hört der Ethnologe gern. Aber, fügte die Frau plötzlich hinzu, natürlich kann es auch an seiner Unachtsamkeit gelegen haben, er hat einfach nicht richtig hingesehen. Da stutzt der Ethnologe, denn jetzt ist die ganze schöne Symbolik kaputt.

Diese Geschichte ist nicht nur ein seltenes Beispiel für eine selbstironische Zurücknahme einer Wissenschaft, die sich dem Erklären fremder Gesellschaften widmet und damit zuweilen kräftig daneben liegt. Sie ist auch ein Hinweis darauf, daß nicht alles, was fremd aussieht, wirklich fremd ist.

Die Holzplastiken von Zephania Tshuma zum Beispiel, die derzeit im Rahmen einer „Aids-Kulturwoche“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu sehen sind, könnte man ziemlich leicht befremdlich finden. Dann aber hätte man nur einfach nicht gut genug hingesehen. Denn Tshuma ist kein ethnologischer Informant, seine Holzplastiken keine naiven Bebilderungen einer geheimnisvollen, fremden Welt. Tshuma, der mit seinen Figuren afrikanischen Alltag und Politik verarbeitet und gleichzeitig Lebensberatung, Verkehrserziehung und Aidsaufklärung betreibt, ist ein ironischer Moralist, ein Künstler mit einer eigenen, sehr komplexen und direkten Formensprache.

Über einhundert seiner bunten, von einer seiner drei Frauen mit Schuhcreme eingefärbten Skulpturen stehen dicht gedrängt beisammen. Auf den ersten Blick scheinen sie vertraut, man erkennt Männer, Frauen, Tiere. Bei näherem Hinsehen stutzt man: Schildkröten sitzen auf Menschenköpfen, Schlangen wachsen aus Körpern hervor, eine Giraffe trägt einen Hut und ein Mann unterhält sich mit einem Leguanwesen. Doch man wird schnell warm mit ihnen, denn Verrätselung ist nicht Tshumas Anliegen. Jede Skulptur erzählt eine Geschichte, monströse und ernste, mal augenzwinkernd, mal emphatisch.

Gott und die Welt

Mit der Schnitzerei hat Zephania Tshuma erst mit fünfzig Jahren begonnen. Heute ist er einer der bekanntesten Künstler Zimbabwes, seine Werke stehen in der Nationalgalerie in Bulawayo und seit 1988 hatte er Ausstellungen in Gent, Paris, Bonn und Berlin. Er war Postbote und Maurer, bevor er begann, seine Nachbarn zu portraitieren und ihr gemeinsames dörfliches Leben zu beschreiben.

Religion und Missionierung spielen in einer Vielzahl seiner Skulpturen eine große Rolle. „Nachdenken über Gott“ entstand beispielsweise aus einem scholastischen Disput in seinem Dorf: ein weißer Mann sinniert, ob Gott weiß und männlich oder schwarz und weiblich ist. Tshuma packt die Gegensätze mühelos in einer einzigen Figur zusammen, die sowohl die verschiedenen Argumente und Auffassungen sichtbar macht wie die allgemeine Ratlosigkeit angesichts der Unentscheidbarkeit der Frage. Sarkastisch kritisiert Tshuma kirchliche Beamte und entlarvt falsche Propheten: ein afrikanischer Bischof hält einem Betenden die Augen zu, als wolle er das Erkennen verhindern; daneben stehen drei falsche Prediger, einer ist mit der Kollekte unterm Arm gerade unterwegs zu seiner Bank.

Tshuma erzählt auch biblische Geschichten. Daniel und die Löwen ist eine spiegelbildlich angelegte Skulptur, die das Wunder der Löwenbändigung ebenso drastisch wie anschaulich darstellt: auf der einen Seite Daniel inmitten der Tiere, die er freundschaftlich umhalst, auf der anderen Seite eine Gruppe von Löwen, denen menschliche Körperteile triefend aus dem Maul ragen. In der Darstellung der Heiligen Familie erweitert er den Kreis der Protagonisten: „Kuh mit Kind“ und „Ochsenmann“ heißt seine Synthese von Bethlehem, schließlich waren Maria und Josef nicht alleine im Stall. Die Schlange verführt Eva in einer Weise, die wir zwar immmer erahnt haben, deren Darstellung sich in der christlichen Kunstgeschichte aber entschieden verbot: händchenhaltend steht sie mit Eva zusammen, den anderen Arm anzüglich um ihren Po gelegt.

Im häufig wiederkehrenden Motiv der Kreuzigung verarbeitet Tshuma auch politische und soziale Aspekte. „Black Crucification“ ist das Symbol des kolonisierten Afrikaners, in „Drei am Kreuz“ vereint Tshuma Weiß, Schwarz und die Schildkröte (die im Gegensatz zu Schwein und Schlange das Gute verkörpert), zum gemeinsamen Leiden. Auch den einfachen Mann nagelt er, in einer anderen Abteilung versteht sich, ans Kreuz: an das der Ehe.

In Tshumas Arbeiten vermischen sich Traum und genaue Beschreibung, Ermunterung und Mahnung, Visionen und Ängste. Seine Skulpturen zur politischen Situation Zimbabwes verarbeiten die Angst vor dem Golfkrieg ebenso wie das Flüchtlingsproblem. Die Sehnsucht nach Integration der Gegensätze, nach einer friedlichen Koexistenz – auch zwischen Schwarzen und Weißen – steht dabei immer im Zentrum. Doch die ist bedroht: durch die „behütete“ Giraffe beispielsweise, die sich als deutscher Großwildjäger entpuppt, oder durch die kulturelle Vergewaltigung eines Kontinents, dargestellt durch einen Weißen, der den Körper einer schwarzen Frau in Brusthöhe einfach durchdrungen hat.

Aber Tshuma portraitiert auch eine weiße Studentin, die ihn beeindruckt hatte, weil sie auf den Fingern pfeifen konnte. „Wir gehören zusammen“, appelliert er nicht nur an unsere Adresse. Beim „Pflügen“, am Aufbau und der Pflege der eigenen Gesellschaft müssen sich daher alle beteiligen: der Elefant und die Schildkröte, das Schwein und der Mensch. Daß er Menschen häufig als Tiere darstellt, liegt daran, daß Tshuma die Portraitierten leid tun: wenn er Gesichter schnitzt, hat er immer das Gefühl, echte Menschen zu bearbeiten.

Zu seinen witzigsten Arbeiten gehören die, in denen er anderen die Leviten liest und sie belehren will. „Mach keine langen Finger“, droht eine Figur mit überlangem Arm, die freilich schon längst ein Polizist am Schlafittchen hält. „Spiel nicht herum, wenn du Auto fährst“, warnt er, der beim Flirten einmal selbst von der Straße abkam und eben dieses Schäkern und Schlingern in Szene setzt.

Liebe, Ehe, Treue, Aids

Auch über sich selbst gibt Tshuma Auskunft. „An die bevorstehende Reise nach Deutschland denkend“ zeigt ihn in komischer Verzweiflung sich die Backen haltend; seinen „Anruf nach Westdeutschland“, in dem er um Hilfe für sein Dorf bittet, hält er in schwarz-rot- gold; und auf dem Selbstportrait mit Ehefrauen fehlt Nr.4, die ihm weggelaufen ist und nun durch die Schildkröte ersetzt ist, die dem Betrachter den Rücken zuwendet. Allzu böse kann er ihr also nicht gewesen sein. Den Freuden und Gefahren der Liebe hat Zephania Tshuma unzählige Skulpturen gewidmet und er war der erste Künstler Zimbabwes, der sich seit 1988 in seinen Arbeiten mit dem Thema Aids auseinandersetzte. „Wen soll ich lieben?“, ein zärtliches Tableau mit drei Schönen, gehört zu den eher heiteren Arbeiten, er thematisiert aber auch Vergewaltigung und Scheidung.

Eine seiner eindrucksvollsten Arbeiten ist die Geschichte einer Kindstötung. Tshuma hat bei der Darstellung auf eine häufig verwendete Technik verzichtet: er hat die an der Tragödie Beteiligten nicht totemartig unter einer Kollektivschuld versammelt, sondern die jeweiligen Verantwortlichkeiten moralisch differenziert in vier Skulpturen aufgeschlüsselt.

Bevor Aids zu einer tödlichen Bedrohung wurde, sah Tshuma in Prostitution und Promiskuität vorwiegend ein Problem emotionaler Verstrickungen, oder die Gefahr, ausgenommen zu werden. Geliebte und Prostituierte sind häufig als Schweine dargestellt, die ihren Männern „im Nacken sitzen“. Das hat sich geändert.

Verursacher der Krankheit ist der Aidswurm, dargestellt als Mann in Missionarsstellung, „ein Mörder, die Bombe des Himmels“. Doch bei der rektalen „Aidsuntersuchung“ kann der Mensch ihn nicht sehen: er steckt in ihm und grinst hämisch aus seinem Rücken hervor. In den „Aidsuntersuchungen“ durch das Rote Kreuz haben sich die Verhältnisse umgedreht: Im Gegensatz zu früher ist der Patient nun riesig, er wird immer magerer und deformierter.

Die Liebe ist gefährlich geworden: sie kann einen den Kopf kosten, und der Prostituierten schaut der Aidswurm unterm Kleid hervor. Mit „Nein danke, ich habe genug“ und „Nein, ich bin verheiratet“ appelliert Tshuma an Verzicht, Verantwortung und empfiehlt das Tragen von Kondomen, auch wenn dessen Träger noch ein bißchen verlegen wirkt.

Seine wichtigste Skulptur zum Aidsproblem, die Synthese seiner Botschaft, ist „Der Mann, der mit dem Aidswurm redet“. Sie begegnen einander, nachdem der Mann mit einer fremden Frau geschlafen hat, und der Aidswurm kündigt ihm an, daß er gleich nach ihr sterben werde. „Ja, es ist wahr,“ sagt Tshuma, „Aids kann reden, denn eine Frau kann reden und ein Mann kann reden.“ Wer bis hierhin noch immer an den Aidswurm als ein Fabelwesen glaubt, dem dürfte jetzt die ganze schöne Symbolik kaputtgegangen sein.

Clifford Geertz, der Ethnologe vom Anfang, hat noch eine andere Geschichte erzählt. In einem afrikanischen Stamm stellt man sich die Woche nicht als Abreißblock vor, sondern jeder Tag wird durch ein Tier symbolisiert. Der Dienstag ist eine Schlange. Auf die Nachfrage, wie diese Schlange denn aussehe, erhielt der Ethnologe die verächtliche Gegenfrage: „Wie soll ich das wissen? Oder hast du schon mal einen Dienstag gesehen?“

Der Aidswurm ist ein Symbol für etwas, das man nicht sehen kann. Im Gegensatz zu unserem szientistischen Aidssymbol, dem Virus, das nur durch Aufklärungskampagnen und Kongresse zum Sprechen gebracht werden kann und das wohl eher auf der Dienstags-Ebene liegt, kann Zephania Tshumas Aidswurm immerhin reden. Er sieht nur fremder aus.

Die Skulpturen Zephania Tshumas sind noch bis 20.6. im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu sehen. Di-Do 14 bis 18, Fr-So 10 bis 20 Uhr. Vom 5.6. bis 13.6. wird Tshuma in der Ausstellung an seinen Skulpturen arbeiten. Zur Ausstellung ist eine Postkartenedition zum Preis von 8 DM erschienen.