Mit nüchterner Gelassenheit

■ Portrait des Türken Ahmet Cevdet Biyiklioglu, der seit zwanzig Jahren in Deutschland lebt – eine nicht ganz typische Migrationsgeschichte

Ahmet Cevdet Biyiklioglu, ein Mann von 73 Jahren. Er lebt „erst“ seit zwanzig Jahren in Deutschland. Seine Biographie erfüllt keine Erwartungen, die man von einem Migranten der ersten Generation hat: er hat keine starken familiären Bindungen, keine Ehefrau an seiner Seite, kaum Ersparnisse. So ist es für ihn ziemlich klar, daß er hier in Deutschland bleiben will. Es gibt nichts, was ihn in die Türkei zieht. Sein Sohn ist sein einziger Bezugspunkt. Und der will hier in Deutschland leben. Seine Enkel können kaum mehr Türkisch. Mit nüchterner Gelassenheit nimmt er dies zur Kenntnis. Eine Folge der Migrationsgeschichte, eine zwangsläufige Entwicklung und Phänomen des Wandels, gegen den man nichts tun kann.

Ahmet Cevdet Biyiklioglu wurde in Hopa, in der Provinz von Artvin geboren, am Schwarzen Meer. Wie viele Menschen aus dieser Region der Türkei ist auch Ahmet Bey ein Lase, ein ursprünglich kaukasischer Volksstamm.

Er ist ein politisch interessierter Mensch, aber keiner, der sich auf Teufel komm raus mit den Herrschenden da oben anlegen will. Natürlich reden wir über den Tod von Turgut Özal und den jetzigen Staatspräsidenten Süleyman Demirel. Für Türken in seinem Alter gehören Gespräche über Politik genauso zum Themenbereich und zu den Cafégesprächen wie Sport und Technik.

So springen wir in unserem langen Gespräch eben von der Politik zu den Nachtclubs in den vierziger und fünfziger Jahren im bewegten und multikulturellen Istanbul.

Ahmet Cevdet Biyiklioglu spricht nicht sehr viel über die Sehnsucht nach seinem Heimatort. Früher fuhr er jedes Jahr in die Türkei. Doch heute nur noch alle paar Jahre. Die Kontakte zur Familie sind abgebrochen. Der Sohn aus seiner geschiedenen Ehe lebt mit Familie ein paar Häuser von ihm entfernt. Am Wochenende ist er meistens mit ihnen zusammen. Über Einsamkeit beschwert er sich nicht.

Als er 1973 nach Deutschland kam, kurz vor dem „Ausländerstopp“, ging die Ehe in die Brüche. Seine Frau wollte ihm nicht nach Deutschland folgen. Nun begann die Lebensphase als klassische Arbeitskraft in verschiedenen Fabriken. – Ungewöhnlich, daß nicht seine geschiedene Frau den Sohn behielt, sondern er ihn mit nach Deutschland nahm. Anders als bei anderen Migranten war sein Sohn bereits erwachsen und gründete bald eine eigene Familie.

Ahmet Bey war nun allein. In dieser Zeit entdeckte er seine Liebe zu Hunden. So trat er bald in den Verein „Besitzer deutscher Schäferhunde“ ein und legte sich natürlich einen deutschen Schäferhund zu. Mit 65 Jahren konnte er nur noch als Hausmeister tätig sein. Von da ab versuchte er sich als selbständiger Kleintransportunternehmer, doch konnte er mit diesem Vorhaben keinen Fuß fassen. Er gab dies schnell auf und arbeitete seither zwei- bis dreimal die Woche als Wachmann bei einem Sicherheitsdienst. Die Rente und der Verdienst durch die Arbeit reichen gerade so für den Lebensunterhalt.

Immer in der Rolle des schweigsamen Betrachters, verbringt er seine freie Zeit im Café, ein Treffpunkt des Türkischen Seniorenclubs, das Anfang dieses Jahres als Verein gegründet wurde.

Mit seiner Rente könnte er in der Türkei seinen Lebensunterhalt sehr gut bestreiten. Doch es ist die Gewohnheit und letztlich auch die emotionale Abhängigkeit von dieser näheren Umgebung, die ihn dazu bringt, in Deutschland zu bleiben. Auf die Frage, ob er sich auch ein zweites Mal für Deutschland entschieden hätte, sagt er ja. Schwer ist ihm der Abschied von der Heimat nicht gefallen. Auch wenn er immer wieder gern von der Zeit in der Türkei erzählt, so gehen die Beschreibungen, als er 1973 nach Deutschland kam, nahtlos ineinander über. Vielleicht der beste Weg, diese extreme Erfahrung der Entwurzelung zu verarbeiten. Hakan Songur