Kopf-an-Kopf-Rennen in Spanien

Hohe Zahl von Unentschlossenen vor den Parlamentswahlen am Sonntag / Sozialisten und Volkspartei etwa gleich stark / Koalitionsmöglichkeiten für Regierungsbildung völlig unklar  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Noch nie hat in Spanien ein so knappes Rennen stattgefunden. Wenn man den Umfragen Glauben schenken darf, dann wird die rechte „Partido Popular“, die „Volkspartei“ (PP), bei den Parlamentswahlen am kommenden Sonntag auf etwa 145 Sitze kommen. Damit würde sie die sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) zum ersten Mal seit der Wiedereinführung der Demokratie in Spanien um etwa vier Sitze überrunden. Nur in zwei Provinzen – Extremadura und Andalusien – wird die PSOE ihre Mehrheit behalten. Der ununterbrochene Hinweis auf die hohe Staatsverschuldung, auf mehr als drei Millionen Arbeitslose und auf die zahlreichen Korruptionsaffären sozialistischer Amtsträger werden dem Herausforderer, José Maria Aznar, die Stimmen zutragen, die er in Ermangelung eines alternativen Regierungsprogramms nicht erhalten kann.

Im Programm unterscheiden sich die beiden großen Parteien nämlich wenig: Den Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Korruption haben sich beide auf die Fahnen geschrieben. Zwar hat die rechte PP darüber hinaus ein Einfrieren der Steuern versprochen, ohne aber zu erklären, wo bei den Ausgaben gespart werden soll. Die Verteidigungsmanöver der Sozialisten haben ihnen bislang wenig geholfen: Die vorsichtige Andeutung von Felipe González, für die nächste Regierung möglicherweise auf den unbeliebten Wirtschaftsminister Carlos Solchaga verzichten zu wollen, die Ankündigung, den Abschluß von Zeitverträgen wieder einschränken zu wollen sowie die Einführung eines mit den Gewerkschaften ausgemachten Streikgesetzes haben nicht dazu geführt, daß etwa die Gewerkschaften ihre Neutralität im Kampf um die Wähler aufgegeben hätten – von Einzelpersonen mal abgesehen. Auch die Drohung, die Rechten würden die Sozialleistungen einschränken und seien im Prinzip ohnehin diesselben wie unter Franco – Vizeparteisekretär Alfonso Guerra verglich etwa den Kandidaten der Volkspartei, Aznar, mit dem Putschisten Tejero – beeindruckt vor allem die jüngeren Wählern immer weniger: Zehn Jahre neoliberaler Wirtschaftspolitik haben Spuren hinterlassen.

Aznar, der junge Herausforderer, verhält sich geschickt. Die alte Riege, darunter den Parteigründer und Landesvater der Provinz Galizien, Manuel Fraga, hält er im Hintergrund und präsentiert sich als Protagonist einer jungen Mitte- Rechts-Partei. Vor rechten Studenten bat er um Verständnis für Frauen, die abtreiben müssen – eine Position, die in seiner eigenen Partei nicht unumstritten ist. Seine Frau, Ana Botella, tingelt in einem Bus junger Parteianhängerinnen durchs Land. Auch Künstler und Schriftsteller werben für die „Volkspartei“ – mit dem Argument, diese werde für „weniger Staat“ sorgen.

Doch auch noch zwei Tage vor der Wahl sind 21 Prozent der Wähler untentschlossen, wem sie ihre Stimme geben werden. Selbst wenn sich die Wahlvoraussagen erfüllen sollten, ist fraglich, wer schlußendlich die Regierung bilden wird. 175 Sitze sind für die absolute Mehrheit erforderlich. Als ideale Mehrheitsbeschaffer bieten sich die rechten katalanischen und baskischen Nationalisten (CiU und PNV) an, die zusammen 26 Sitze bekommen könnten, was für die absolute Mehrheit nicht ausreicht. Im Rest des Landes herrscht Mißtrauen gegenüber diesen beiden „Zünglein an der Waage“: Bereits im Vorfeld haben ihre Vorsitzenden deutlich gemacht, daß eine Regierungsbeteiligung in Form von Zugeständnissen autonomer Rechte fürs Baskenland und finanzieller Zuwendungen an Katalonien bezahlt werden muß.

Bei einer Umfrage vonEl Pais Ende Mai sprach sich eine relative Mehrheit der Befragten (23 Prozent) für eine Koalition der PSOE mit der Linksunion Izquierda Unida aus. Die hingegen hat Felipe González als Koalitionspartner ausgeschlossen, auch wenn sie von Teilen seiner Partei befürwortet werden. Auch in Izquierda Unida selbst wurden die Meßlatten für eine Koalition sehr hoch gehängt.

Der Vorsitzende von Izquierda Unida, Julio Anguita, nach González der populärste Politiker Spaniens, hat am 28.Mai einen Herzinfarkt erlitten und liegt im Krankenhaus. Angesichts drohender „italienischer Verhältnisse“ wird allseits über Neuwahlen spekuliert – für spätestens in einem Jahr.